Der Überfall

Ich war wild entschlossen, für immer auf dem Linoleumboden in meiner Diele sitzen zu bleiben. Den Rücken bequem an den Filzbelag der Wohnungstür gelehnt. Den Luftzug, der unter der Türritze hindurchwehte, ganz sacht durch meinen flauschigen Bademantel am Hintern spüren. Einmal die Woche den Zehnliter-Kanister mit Wasser aus der Leitung füllen und ihn dann im Laufe der Tage mit einem langen, neonblauen Partystrohhalm austrinken. Was das Pinkeln anging, vertraute ich auf die Saugkraft meines hochwertigen Fußabstreifers. Mein Ziel war, ganz mager zu werden und schließlich in den Frotteeschlaufen des Mantels zu verschwinden. Das behäbige Treiben der Staubmäuse würde mir ausreichend Ablenkung bieten, bis es so weit wäre. Doch das Leben hatte andere Pläne mit mir.

Eines Morgens erwachte ich vom Klappern des Briefkastenschlitzes. Verschlafen beugte ich mich zur Seite, um einem Kuvert Platz zu machen. Stattdessen erschien eine lange, großporige Nase im Schlitz und zog unappetitlich Rotz hoch.

‚Machen Sie auf!‘, befahl eine schnarrende Stimme.

Trotzig schwieg ich und stellte mich abwesend. Doch der draußen ließ sich nicht so leicht abwimmeln.

‚Nun machen Sie schon auf!‘, wiederholte er eindringlich. ‚Ich weiß, dass Sie da drin sind und auch, was Sie vorhaben. Das hat keinen Zweck.‘

Die Nase schob sich noch ein Stückchen weiter durch den Schlitz und schnüffelte. Obschon die Nase ekelhaft aussah und die Stimme unsympathisch klang, wollte ich erfahren, wer das wohl sein mochte.

‚Wer ist überhaupt da?‘, fragte ich also.

‚Hieronymus Bosch‘, flüsterte der Besucher.

‚Der Maler mit dem Garten der Lüste?‘ Natürlich glaubte ich ihm nicht.

‚Iwo! Wir sind doch nicht im Mittelalter. Hieronymus Bosch. Von der Stasi‘, antwortete er mir.

Das war nun noch unglaublicher. Jeder wusste, dass es die gar nicht gab. Aber ich hatte gleich das Gefühl, mit dem Mann könne man nicht diskutieren.

‚Was wollen Sie denn bei mir?‘, fragte ich deshalb.

‚Die Zählerstände ablesen natürlich‘, erwiderte er entrüstet.

‚Welche Zähler?‘, fragte ich misstrauisch nach.

‚Welche Zähler? Welche Zähler?‘, äffte er mich nach. ‚Seien Sie nicht so neugierig und öffnen Sie endlich die Tür.‘

Ich weiß, es wäre vernünftiger gewesen einfach sitzen zu bleiben. Aber eine unstillbare Neugier überfiel mich, und ich stellte mir Hieronymus Bosch als den Mann meiner Träume vor, der mich aus meiner Einsamkeit befreien und mein Leben mit saftiger Erotik und abgründigem Sinn erfüllen würde. Die knarzende Stimme klang mir voll und warm in den Ohren und ich phantasierte einen wohlgestalteten Körper an die unansehnliche Nase. Selbst das herabhängende Nasentröpfchen schimmerte golden. Nennen Sie mich ruhig eine Närrin, ich widerspreche Ihnen nicht.

So rutschte ich mit dem Hintern den Fußabtreter zur Seite und zog an dem kümmerlichen Stück Wäscheleine, das an der Türklinke festgebunden war. Wie eine Naturgewalt kam Hieronymus Bosch in die Diele gestürmt. Er klemmte mich brutal zwischen Tür und Rauhfasertapete ein und lachte böse. Mit schwieligen Marderhänden packte er mich am Aufschlag des Bademantels und schleifte mich auf den Hausflur hinaus und die Treppe hinunter.

Auf dem Gehweg wartete ein Postauto mit eingeschalteter Warnblinkanlage. Herr Bosch schubste mich zu den Postsäcken in den Laderaum und warf die Tür zu.

Das Postauto fuhr rasant davon und lud mich im Paketzentrum ab, wo ich es bis zur Postministerin brachte.