Kurzgeschichten

Bei Wasser und Brot

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„Ich frage mich“, sagt der Mann und schlägt seinen Kragen hoch, „warum niemand dem Wasser Einhalt gebietet? So schwer kann das ja nicht sein!“ Er beugt sich vor und schöpft mit einem rosa Plastikeimerchen braune Brühe aus dem Strom, der unter seinem Fenster vorbeirauscht. Seine Wangen sind gerötet, als er den Eimer in die Kamera hält. „Sehen Sie, so geht das!“, ruft er und verschwindet im Badezimmer. Kurz darauf erscheint er wieder. In der rechten Hand hält er ein dick belegtes Schinkenbrot. „Sie sehen, ich bin auf alle Eventualitäten vorbereitet“, verkündet er stolz und hält der Reporterin das Brot entgegen….

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Auch nur ein Mensch

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Danke für die Blume, ein Sträußchen wäre auch zu viel verlangt gewesen, die kann ich gut gebrauchen. Um uns herum das blühende Leben, hinter den Fenstern wird leise gestorben. Der Ventilator bläst einen Hauch. Wer ist dran, wer ist noch nicht versorgt? Einen Ehrenplatz für all jene, die es nicht wahrhaben wollten und die trotzdem das Weite gefunden, wenn auch nicht gesucht haben. Ich sehe meinen Atem, habe ein Auge auf dich geworfen, besorgt, ob du auch vorschriftsmäßig pulsierst. Wie lauten die Vorschriften heute? die Blumenläden sind wohl noch geschlossen, anders könnte ich mir die einzelne Blume nicht erklären. (Wuchert…

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Die Zeit danach

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Meine Augen sind nicht mehr so scharf, als dass ich damit allzu weit in die Zukunft blicken könnte. Nicht, dass es da viel zu sehen gäbe. Aber man macht das so heutzutage, und ich will nicht den Eindruck erwecken, Trends seien mir fremd. Ich weiß nicht, wann das geschehen ist, dass man den Hals den kommenden Zeiten entgegenreckt. Als ich jung war, gab es gar keine Zukunft. Man war, so dachte man, am Ende der Zeit angelangt, oder wenigstens kurz davor. Der Globus gespickt mit Mittelstreckenraketen, die aus sterbenden Wäldern hervorragten, die wir nicht betreten durften, weil man dann die…

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Der müde Mann

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„An manchen Tagen geht es besser als an anderen. Manchmal geht es gar nicht. Wenn sich die Partikel im Raum wieder in Wesen, in menschliche Wesen, in Mitmenschen verwandeln, schießen mir Tränen in die Augen und mein Atem drückt die Lungen von innen gegen den Brustkorb.“ Der Mann richtet sich ächzend von seiner Schlafstatt im Wartehäuschen der Linie 140 auf und steckt sich eine Zigarette an. „Ich wollte längst schon mit dem Rauchen aufhören, aber dann sag ich mir immer, was soll’s, man will so vieles den lieben Tag lang und morgen ist immer noch früh genug.“ Er hustet ergiebig…

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Pläne

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Ich grabe ein Sommerloch. Da schütte ich den Schweiß hinein, der mir bei der Arbeit durch die Speckfalten läuft. Ich sammle ihn in einem Flakon. Dann habe ich bald einen Salzteich und wer sich den Urlaub am Meer nicht leisten kann, kommt zu mir zum Schwimmen. Ich stelle einen dicken Hund als Bademeister an, der kassiert den Eintritt. 50 Pfennige, wie früher, als man noch klein war. Aber niemand hat mehr Pfennige zur Hand. „Das ist ja ein dicker Hund!“, rufen die Leute und werden gebissen, denn der Hund ist empfindsam und verträgt keinen Spott. Das Blut ihrer Wunden färbt…

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Das Spiel der Jongleure

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Jongleure, wohin man schaut, Jongleure: Auf den Gehsteigen, in der U-Bahnstation, im Bus; Jongleure mit blonden Fusselhaaren, mit schütteren Bärtchen, Nickelsonnenbrillen – Jongleure haben sich, einer Käferplage gleich, in meinem Stadtteil ausgebreitet, grassieren, werfen bunte Bälle oder Keulen in die Höhe. Dem ersten Impuls, die Hände um den Hals des Jongleurs zu legen und zuzudrücken, ist keinesfalls nachzugeben – zu groß die erwartbaren Komplikationen, zu weitreichend die Wirkung, zu gellend die Tat. Dann doch lieber Hände abhacken, mag manch einer vorschlagen, doch auch diesen Zeitgenossen möchte ich mahnend Einhalt gebieten, „Immer langsam mit den jungen Fohlen“ oder ihnen eine vergleichbare…

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Ungnade

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Die Maus setzte sich auf den Rand der Kaffeetasse und schlug die Beine übereinander. „Ich freue mich sehr über Ihren Besuch. Es ist eine Weile her, seit ich jemanden aus dem Mäusevolk gesehen habe.“ Klytamnestra stellte ein Tellerchen mit Käsestücken auf den Tisch und machte eine einladende Geste. Die Maus zuckte mit den Schnurrhaaren und kratzte sich hinter dem Ohr. „Ich fürchte, ich bin nicht zum Plaudern gekommen“, piepste die Maus, zog ein Tablet aus einem kleinen Aktenkoffer hervor und tippte nervös auf dem Bildschirm herum. „Mäuse mögen übrigens keinen Käse. Das sind Ammenmärchen“, fügte sie mit einem raschen Blick…

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Gefiedertes

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Die anderen Vögel brüllen mir ihr Liedchen ins Ohr. DELIRIER DELIRIER DELIRIER! Darüber habe ich bereits mehrfach Zeugnis abgelegt und ich ziehe es heute vor, trotzig zu schweigen. Der Asphalt verwässert sich im Brack der Regenpfützen unter dem Druck meiner Schritte. Eine Zeitungsverkäuferin mit wirrem, strähnigem Haar ruft zähnefletschend Schlagzeilen. WER KOMMT, WER GEHT, 72 HUNDEBISSE. Links und rechts wedeln die Bäume, veredeln die Straßen durch ihren Anblick, schreien sattes Frühlingsgrün. DIE JAHRESZEITEN SIND REGELN, DIE NIEMAND BRECHEN DARF. Der Hund der Nachbarin beschnüffelt mich, knurrt. Ich hebe die Arme und fliege als Vogel davon.

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Keine Taube in der Hand

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Der Mann ließ sich erschöpft auf die Bank fallen. Den Harzer Käse, der dort lag, übersah er. „Ihnen ist nicht zufällig ein Stück Harzer Käse untergekommen?“, gurrte eine Taube. „Er ist mir sehr wichtig.“ Eine klebrige Kühle wanderte vom Hosenboden des Mannes sein Rückenmark hinauf. „Ich sehe es Ihnen doch am Gesicht an, dass sie den Käse haben!“ Das Gurren bekam eine hysterische Note. „Ich habe doch gar kein Gesicht“, erwiderte der Mann und rutschte verstohlen etwas hin und her. Er war müde von der Arbeit und hatte keine Lust, sich mit einer Taube zu unterhalten. „Ksch, ksch, ksch!“, machte…

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Herrentag

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Der Mann neben mir pfeift ein Lied hinter seiner Maske; er weiß nicht, was es bedeuten soll. So klingt es jedenfalls. An einem anderen Tag hätte ich ihm zugelächelt und von meinem Großvater erzählt, der, wie er mir einmal in einer schwachen Stunde gestand, immer eine nationalistisch aufgeheizte Schwäche für die Loreley gehabt und schon früh in ihrer Beziehung von meiner Oma verlangt hatte, sich ihr Haar für ihn zu bürsten, wenn sie intim mit ihm werden wollte. Erfolgreich, wenn mir das kurz einzuwerfen erlaubt ist; aus ihrer Ehe entsprangen zahllose Kinder, nicht zuletzt meine Mutter, deren Leben ich meinen…

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