Kurzgeschichten

Begegnung

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A: Sagen Sie, kennen wir uns nicht? B: Nicht, dass ich wüsste. A: Sie kommen mir so bekannt vor. B: Ich bin ein anderer Fettwanst – Sie verwechseln mich. A: Ich könnte schwören … B: Tun Sie es lieber nicht! A: Die Ähnlichkeit ist dennoch verblüffend. B: Für die Schlanken sehen wir Dicken doch alle gleich aus. A: Das können Sie jetzt aber so nicht sagen. B: Doch, doch, das stimmt schon. Ich weiß, was Sie sehen: Schwabbel, fettiger Teint, kleine Augen im speckigen Gesicht, Cellulite auf der Stirn. Ich sehe es doch, mein Anblick widert Sie an. A: Sie…

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Kindersegen

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Wer, wie Margit Pelzfuß, ein Kind nach dem anderen bekommt, dem stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mehr. In jungen Jahren wurde sie von der Schwermut gequält, und um ein Haar wäre sie deshalb zur Unzeit aus dem Dasein geschieden. Doch gerade noch rechtzeitig stellte sich die Mutterschaft ein und damit ein Grund, jeden Morgen aufzustehen und den Tag fröhlich zu begrüßen. Begeistert von der Ablenkung, die mit der Fortpflanzung einhergeht, scharte Margit Pelzfuß zahlreiche Töchter und Söhne um sich. Die Väter stapelte sie in einem Wandschrank, denn sie war ordentlich, und man wusste ja nicht,…

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Die 15 und der Bischof

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Die 15 zog an einer Leine, die ihr der Bischof in die Hand gedrückt hatte und ein Fußball stürzte von der Glasdachkonstruktion eines Hochhauses auf die Erde. Die 15 schaute zum Bischof. „Was sollen denn diese Albernheiten?” Der Bischof hielt sich den Bauch, ließ sein Herrenlachen erklingen, und sagte: „Wenn das der Heilige Franz wüsste, der würde fluchen. Der würde schimpfen.” Die 15 ließ die Leine aus der Hand gleiten und nahm ein Stück Schinken aus ihrem Jutebeutel. Die 15 fettete sich die Hände ein, sie glänzten speckig im Junisonnenlicht. „Pauschal würde ich meine Taten nicht verurteilt wissen wollen. Nichts…

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Seltsame Attraktoren

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Vielleicht müssen wir nur noch eine Weile an den Stäben rütteln. Irgendwann wird schon jemand aufmerksam werden. Jemand, der die Verantwortung trägt. Sie wird ja zweifellos getragen, wenn auch heimlich, wenn nicht sogar im Geheimen. Das ist verständlich. Wer würde das schon offen zugeben? Man stolziert nicht auf und ab und ruft: „Ich bin zuständig!“ Nur Schwachköpfe und Knallprotze tun das. Die wahren Strippenzieher handeln im Verborgenen. Das kann man überall nachlesen. Und wer nicht lesen kann, lässt es sich vorlesen. Und wer niemanden kennt, der sieht sich einen Film an. Und wer keine Augen hat, verlässt sich auf sein…

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Maledictus II: Der Förster

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Genug Zeit ist jetzt vergangen. Fiktives strömt einem aus dem Mund, wenn man nur abwartet, den Kopf schief legt und die Lippen spitzt: Der Tag neigt sich seinem Ende entgegen; bestimmt wird gerade an einem anderen Ort die Ernte eingefahren; ein Landwirt grüßt auf dem Trecker gewiss den Förster, den er zwar nicht leiden kann, und den er diffus fürchtet, der aber immerhin mit ihm zur Schule gegangen ist (oder wie man damals sagte ‚der mit ihm zusammen die Schulbank drückte‘), der dann in die Stadt zog, um Forstwirtschaft zu studieren. Der Landwirt war Landwirt geworden, weil sein Vater schon…

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Stoßzeit

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Bekanntermaßen ist der Planet überfüllt, wie ein Bahnwaggon zur Stoßzeit. Stoßzeit. Kein schönes Wort. Aber so sagt man eben. Früher hätte es geheißen, man solle etwas zusammenrücken, wenn es eng wird, aber heute darf man das nicht mehr. Niemand weiß mehr genau, wie man sich richtig verhält und was erlaubt ist. Außer meinem Nachbarn, dem guten Bormann. Er ist der moralische Kompass der Hausgemeinschaft, und wir alle sonnen uns im Leuchten seines Beispiels. Zudem ist er der Vetter des bösen Bormanns, doch von dem will ich lieber schweigen, sonst vergesse ich meine gute Kinderstube. Neulich begegnete ich ihm in der…

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Am Rande eines Krisengesprächs

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Sebastian Waligora, MdB: Wer spricht denn hier von einem Schritt in die richtige Richtung, wer spricht denn hier überhaupt von einem Schritt? Ekelhard, ein Subalterner: Nun, ich nicht. Ich nicht. Mich würdest Du auch dann nicht hören, wenn ich gefoltert würde. Sebastian Waligora, MdB: Dann ist ja gut. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Man weiß nie, wann man die Grenze des Noch-Erlaubten überschreitet. Ekelhard, ein Subalterner: Mich würde man nicht hören, wenn man mir Zigaretten auf der nackten Brust ausdrücken würde. Sebastian Waligora, MdB: Schon gut. Ich habe verstanden. Ekelhard, ein Subalterner: Kein Wort, kein Ton käme über meine…

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Auf dem Abstellgleis

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Anstatt zum hundertsten Mal die Geschichte zu erzählen, wie ich ins sonnige Spanien gereist bin und dort eine Ausbildung zum Torero machte, werde ich heute von einer Zugfahrt ohne besondere Vorkommnisse berichten. Ich fand mich im Morgengrauen am Bahnsteig ein, denn wer wie ich über keinerlei Ersparnisse verfügt, muss unkomfortable Abfahrtszeiten in Kauf nehmen. Eine Platzreservierung leiste ich mir trotz des schmalen Budgets. Seit ich einmal 36 Stunden auf dem Gang eines Bummelzugs nach Skopje mit einem Regiment Soldaten und ihren Socken verbringen musste, mag ich auf einen Sitzplatz nicht mehr verzichten. Der Zug war alt und schäbig, auf den…

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Die wenigen Regelmäßigkeiten des Lebens

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Gerade noch gutgegangen. Die Kurve gerade noch gekriegt. An Spaniens Küsten blühen längst vergangene Pflanzen – Naturschwamm ist kein schöner Anblick, sagt man wohl und bleibt mit dieser Aussage auf der sicheren Seite der Anonymität. Ich trage eine Maske, im Spiegel trotzdem ein Augenblick des Wiedererkennens. Die Erinnerung der Alten sind die Taten ihres Zenits, tuschelten die Teilnehmer einer Jagdgesellschaft, zu der mich einst USURA höchstpersönlich eingeladen hatte. Wir standen an einem offenen Massengrab und zählten Oberschenkelknochen. Ich musste mehrmals ansetzen, da die anderen Jäger immer auf niedrigere Zahlen kamen als ich. Verzweifelter Zorn wuchs in mir, als ich bemerkte,…

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Kein Ende abzusehen

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An meinem ersten Schultag begleiteten mich meine drei Brüder, denn meine Eltern kamen so früh am Morgen nicht aus den Federn. Als wir um die Ecke bogen und das Gebäude in Sicht kam, nickten sie sich wissend zu und ihr grimmiges Schweigen dröhnte mir in den Ohren. Meine Brüder heißen Palisander, Palisade und Palindrom. Ich verwechsle sie immerzu, weil ihre Gesichter hinter bunten Masken verborgen sind, und sie foppen mich obendrein, indem sie tauschen. Aber letztendlich ist das nicht der wahre Grund. Ich verwechsle fast alles: Frühstück und Abendbrot, Sommer und Winter, Hase und Pfeffer, Gott und die Welt, Theremin…

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