Der Zöllner

Am alten Zollhaus traf Herr Domino den Zöllner. Der hatte den ganzen Tag Beutel geschnitten und die Hand aufgehalten – der Zöllner war müde, das sah Domino auf Anhieb.

„Ach, man wird nicht jünger!“, sagte der Zöllner in einem Anflug von Sentimentalität. „In den guten, längst vergangenen Tagen konnte ich die Beträge und Einnahmen im Kopf ausrechnen, stundenweise, tageweise – ja, ich hatte sogar die Summen der Wochen im Kopf. Heutzutage, wenn auch nicht erst neuerdings, bin ich auf ihn hier angewiesen.“

Er zeigte auf ein zerrupftes Wesen, dem Augenschein nach ein Nagetier. Domino sah, dass es in keinem guten Zustand war; abgesehen von seinem räudigen Äußeren, schien das Tier an einer nervösen Störung zu leiden, es zuckte fortwährend mit dem Kopf und rollte die Augen wie ein Chamäleon, das um den Verstand gekommen war. Herr Domino konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Nutzen es dem Zöllner sein könnte.

„Er hilft mir rechnen“, erklärte der Zöllner, als hätte er Dominos Gedanken gelesen. „Ich füttere ihn mit Zahlen und den wesentlichen Daten und er kackt die Ergebnisse aus, noch ehe ich oder irgendwer anders 1-2-3 sagen kann. Und mir macht beim Zählen, beim Jonglieren mit Zahlen, so schnell keiner etwas vor, das kannst du wohl glauben.“

Er richtete sich auf, nahm die Schultern ein beträchtliches Stück zurück, schob die Brust vor und zog den Bauch ein. Der Zöllner wuchs nicht nur, er schien auch mit jedem Zentimeter, den er wuchs, ein Jahr jünger zu werden. „So, mein Lieber, genug geplaudert. Du bist ja nicht zum Zollhaus gekommen, um über meinen Freund hier zu plaudern: Was ist dein Begehr?“

Domino konnte seinen Blick nicht abwenden, das Tier kniff die rollenden Augen zusammen, zitterte, hob den puscheligen Schwanz und kackte eine formschöne Wurst aus Information. Der Zöllner zog sich einen Einweghandschuh an und wühlte in den Fäkalien bis er fand, was er suchte. „Aha! Habe ich es mir doch gedacht“, rief der Zöllner in neugewonnener Förmlichkeit aus. „So, so, ich habe mich doch gleich über Ihren unterwürfigen, will sagen, schuldigen Gesichtsausdruck gewundert. Nicht, dass ich desgleichen nicht täglich dutzendfach erleben würde.“ Die Stimme des Zöllners verlor Jahr um Jahr, Zentimeter für Zentimeter ihre Brüchigkeit und war, als er nun eine Pause machte, um Domino seine Unwürdigkeit im Nachhall der Worte spüren zu lassen, so herrisch und so laut geworden, dass Domino vergaß, welches Vergehen er sich hatte zu schulden kommen lassen.

Der Zöllner hatte sich ganz aufgerichtet; Domino, der den Zöllner zuvor um Kopfeslänge überragt hatte, musste nun zu ihm aufblicken – des Zöllners Nasenhaare bebten im Ingrimm.

„Wird’s bald? Ich zähle bis zehn: Zwanzig, zwanzig, neun, zehn.“

Da fiel Domino wieder ein, weshalb er gekommen war: Er hatte eigentlich die monatlich zu begleichende Gehwegbenutzungsgebühr entrichten wollen, doch jetzt nahm er die Beine in die Hand und lief so schnell er konnte.