Die letzte Ehre

Gestern habe ich nach langer Zeit wieder einmal an meinen Patenonkel Pankraz gedacht. Das kommt selten vor, denn ich hasse ihn aus tiefstem Herzen, und das soll man ja nicht. Immerhin nahm er meine Eltern und mich auf, als wir unser Heim verloren hatten. Als Kind log ich, bis sich die Balken bogen. Die Nachbarn beschwerten sich, weil bei ihnen das Porzellan aus den Schränken fiel, und schließlich setzte uns die Vermieterin kurzerhand vor die Tür.

Pankraz war ein Mistvieh von einem Menschen. Unter dem Vorwand, mir dies und das beibringen zu wollen, pflanzte er Unfug und Irrlehren in mich.

„Immer schön nach oben buckeln und nach unten treten!“, rief er mir beispielsweise einen Sommer lang vom Beckenrand zu und hieß mich faul und schwächlich, weil ich nicht recht vorwärts kam. Am Ende der Ferien fiel ich mit Pauken und Trompeten durch die Seepferdchenprüfung und bin seither nicht mehr schwimmen gegangen.

Als wir später wieder eine Behausung gefunden hatten, weigerte ich mich, ihn je wieder zu besuchen. Nicht einmal die weihnachtlichen Grußkarten, die ihm meine Eltern jedes Jahr im Dezember schickten, habe ich unterschrieben.

Gestern also fand ich in meinem Briefkasten die Einladung zu Pankrazens Begräbnis. Eine aufwändig gedruckte Karte lag in dem mit schwarzem Seidenpapier gefütterten Umschlag. Seine Wohltaten an der Menschheit werden weitschweifig gelobt. Ich kann mir beim besten Willen nicht denken, wer so ein Aufhebens von ihn machen würde. Vielleicht handelt es sich bei dem Toten um einen anderen Pankraz, den ich völlig vergessen habe. Oder es ist nur eine weitere seiner Tücken, mit der er mich auf den Friedhof locken möchte. Ich werde mir vorsichtshalber den bissigen Hund meiner Nachbarin als Begleitung mitnehmen. Man kann nie wissen.