Die Zeit ist trügerisch, hält nie, was sie verspricht

In der Prinzessinnenvariante des Schneidersitzes, die Knöchel gekreuzt, werden Stoffe geschnitten, bestickt, beklebt, in neue Form gebracht, vernäht. Manchmal etwas Warmes für die kalten Stunden, meist kleine Kleider für Bären oder Puppen. Eine Fliege landet auf der arbeitenden Hand, mit hellem Stimmchen spricht sie furchtlos: „Das Leben geht weiter. Die Zeit heilt alle Wunden.“ Und Ähnliches und immer mehr.

Man kennt so Tierchen ja – die Verlegertochter Dora Duncker hatte auch nie Zeit, hetzte von Termin zu Termin und murmelte Sätze wie: „Ich fühle mich am Anfang eines Verbrechens“ und „Ich sollte zu denen gehören, denen Aufschub gewährt wird bis zu ihrer bestimmten Zeit.“ Ihr Vater entschleunigte sie schließlich, ließ sie in ihrem Zimmer einsperren, wo sie blieb und im Alter von einundsechzig Jahren starb.

Doch die Fliege lässt sich nicht beirren. Sie nutzt die vorderen Beine und putzt sich das Gesicht. Ihr fehlt eine Arbeit, eine die Mühe macht und Zeit kostet, ohne dabei den Kopf anzustrengen. Sie blickt hoch und sagt fast vernehmbar: „Das wahre Leben kenne ich, und den zum Leben führenden Pfad, den zum wahren Leben führenden Wandel, kenne ich auch. Aber ich verrate ihn nicht. Denn der Verrat zieht rohen Duft.“

Dann fliegt sie fort. Formlos und ohne Wort des Abschieds. Auf dem Handrücken ein wenig Fliegenkot. Mit ein bisschen Phantasie kann man „Wie eilig haben es doch die Tage!“ darin lesen, man kann ihn auch einfach fortwischen.