Ehrenamt Europa

Ein Gespenst geht um in Europa. Das habe ich in der Zeitung gelesen. Am Zeitungskasten, genauer gesagt. Ich bin empfindsam gegen das Leid der Welt. Von einer ganzen Zeitung bekomme ich Sodbrennen. Allerdings, vom Gespenst wusste ich schon vorher. Donnerstags sucht es mich heim. Es rüttelt an meinen Zähnen und heult.

„Kapital! Kapitaaaahaaahaaal! Hast du schon welches? Hast du, hast du, hast du, hast duhuhuhuuu welches?“

Dann piekt es mich mit knöchernen Fingern in den Bauch.

„Sag, sag, sag, sag, sahahahaaag, hast du genug Kaaahaaahaapihiiihiiitaaahaahahaaal?“

Es springt auf meinen Rücken und zaust mir das Haar.

„Man kann nie, nie, nie, niehiiiihiiieeee genug haben!“

Es packt mich und wirbelt mich im Zimmer herum, wobei es alte Kirchenmusik jault, von Schubert oder Bartmuß, ich kenne ich mich da nicht so aus. Dazwischen hält es inne und zischt mir ins Ohr:

„Glaubst du mir? Na, na, na, glaubst du mir? Glaubst du an mich?“

Mir war nicht klar, dass es auch anderswo umgeht. Europa ist ja kein Pappenstiel. Womöglich bin ich eine herausragende Persönlichkeit, schließlich spukt es mir alle Donnerstage aufs Neue. Vielleicht, weil ich weder Reizgas noch Deodorant versprühe oder auch nur mein Eigen nenne.

Glaube ich ihm? Glaube ich an es? Glaube ich überhaupt an etwas? Ich habe doch nicht einmal eine gefestigte Meinung zu den Vorgängen in der Welt. Der Überzeugungsakt ist mir zuwider, mein Dogma verschlissen und aus der Mode.

Ich bin empfindsam gegen das Leid der Welt. Wegen mir sollen die Bettler auf seidenen Polstern hocken. Der Appetit auf die Nachspeise vergeht mir, wenn sie auf dem nassen Pflaster sitzen und ich mir vorstelle, wie Dreck und Kälte durch ihre fadenscheinigen Hosen kriechen. Da bekomme ich keinen Bissen hinunter.

Ein Gespenst geht um in Europa. Es umschwebt mich und keckert.

„Schreib! Nein! Schreib nicht, such dir lieber ein Ehrenamt, draußen an der frischen Luft!“

Ich möchte Einwände erheben, doch meine Zaghaftigkeit lässt es nicht zu. Am Ende schikaniert mich der Geist nur, um mit meiner Zaghaftigkeit ins Gespräch zu kommen. Ich selbst bin nur ein notwendiges Übel. So gehe ich los und kaufe einen Fisch für die Mühseligen und Beladenen. Mit großen Flossen und silberglänzenden Schuppen. Sie verschlingen ihn gierig und ersticken an den Gräten. Stets bringe ich den Menschen Ungemach, obschon ich die besten Absichten hege. Der Fisch war doch gar nicht zum Essen gedacht! Ein Pfand meines Mitgefühls sollte er sein. Man wird immer missverstanden.