Ein Nachmittag im Waschsalon von Kafka David Friedrich

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Eigentlich hat die Geschichte mit dem Saharastaub angefangen. Oder mit dem Duft der Blüten des Zierapfelbaums im Park. Das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. In letzter Zeit merke ich mir die Dinge nur noch ganz kurz, damit ich offen für Neues bleibe. Der Saharastaub kommt gar nicht aus der Sahara, das habe ich irgendwo gehört. Das ist nur ganz gewöhnlicher Blütenstaub von irgendeinem x-beliebigen Baum. Linde oder Tanne, das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Jedenfalls nicht Zierapfel. Aber Sie wollen ja die Geschichte hören. Kein Schwein interessiert sich für Zierapfelbäume, obwohl die im Frühling einen betörenden…

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Beim Barte der Prophetin

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In der Karwoche wird es Mona Pelzfuß immer ganz spirituell Zumute. Die übrigen Geschehnisse im Kirchenjahr berühren sie nicht. Die Familie Pelzfuß ist kommunistisch bis in die Knochen und der Klassenkampf ist Monas Lametta. Aber die Osterzeit! Verrat, Passion, Mord und Auferstehung. Da kann die Übernahme der Produktionsmittel durch das Proletariat einfach nicht mithalten. Allein die Namen der Tage bringen eine magische Saite in Mona Pelzfuß zum klingen: Palmsonntag, Gramdienstag, Karfreitag und so weiter. Mona Pelzfuß bindet sich den Prophetenbart um und übt Zuhause vor dem Spiegel ihre Bergpredigt. „Ich aber sage euch, der Schamhügel ist der Kalvarienberg des kleinen…

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Das Ehegrab

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Mein Vetter Kopernikus bekam als Kind regelmäßig den Hintern mit dem Teppichklopfer versohlt. Wegen seines Humors. Kein Mensch in unserer Familie sagte übrigens Teppichklopfer. Der Pracker lehnte in der Küche meiner Großmutter bedrohlich schweigend neben dem Herd und wartete, bis die Späße meines Vetters seiner Schläge wert waren. „Deine dummen Witze werde ich dir schon austreiben“, sagte meine Großmutter, doch es gelang ihr nicht. Kopernikus blieb lustig. Als wir anderen Kinder auf weiterführende Schulen gingen, war Kopernikus längst dem Zischen des Prackers entflohen und arbeitete als Gärtner auf dem Friedhof, wo seine Schabernacke von den Toten unbemerkt blieben und die…

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Das Flüstern der staubigen Uhr

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Als ich klein war, kam uns einmal im Monat Papst Gregor besuchen. Er hatte auch eine Nummer, aber die durften wir Kinder nicht wissen, denn er wollte kein Gerede in der Nachbarschaft. Aber die Nachbarn tratschten natürlich trotzdem. „Bei den Baader-Meinhofs kommt wieder der Papst“, sagten sie hinter vorgehaltener Hand, wenn sie sahen, wie meine Mutter säckeweise Hausstaub aus dem Keller hochschleppte. Denn die Wohnung musste ein Saustall sein, sonst wurde der Papst ungemütlich. Sauberkeit und Ordnung waren unchristlich, nicht umsonst sprach man ja vom Putzteufel. So stapelten wir bereits Tage vor seiner Ankunft schmutziges Geschirr in der Küche und…

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Pecunia Olet

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Unsere Herkunft hilft uns dabei, die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln. Lebte man am Boden eines Alpentals und spräche mit einer Fabrikarbeiterin über die da oben, würde man wahrscheinlich nicht über denselben Personenkreis reden. Trotzdem könnte man sich vielleicht einig werden, dass mit denen da oben etwas nicht stimmt. Mit Latein verhält es sich ähnlich. Und es gibt ja auch Fabriken, die am Boden von Alpentälern stehen, aber um die geht es hier nicht. Das wird sonst zu kompliziert. Jedenfalls, als Kind dachte ich, Latein sei eine Sprache für Zauberer und Pfarrer. Einen lateinsprechenden Arzt oder Juristen hätte ich für…

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Der schielende Spiegel

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Meinem Vetter Bruno stand der Mund schief im Gesicht wie ein schlampiger Behördenstempel und eine dunkle Braue lag wie ein Baumstamm über seinen Augen. Onkel Gernot zog ihn damit auf. „Bei Bruno merken wir, dass er alt wird, wenn Moos auf seiner Augenbraue wächst.“ Tränen liefen schnurgerade über Brunos Wangen, so dass sein Mund noch schiefer wirkte. „Hänsel den Bruno nicht!“, mahnte meine Großmutter dann, aber sie meinte es nicht ernst. „Ich hänsle ihn nicht, ich mag den Bruno doch“, erwiderte Onkel Gernot. So war das in unserer Familie. Allein die Liebe bewahrte einen davor, dem anderen ein Leid zuzufügen,…

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Möglichkeiten

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Mein Großvater war stets darum bemüht, klüger zu wirken, als er es tatsächlich war. So pflegte er zu sagen, er habe den Braten längst gerochen, wenn er jemandem auf die Schliche gekommen war. Als sei das Riechen eines Bratens eine komplizierte Sache, die besondere Fertigkeiten oder geheime Kenntnisse erfordere. Dabei bog sich die Gasse sonntags unter Bratenduft und jeder, der eine Nase hatte, konnte schwerlich etwas anderes riechen. Nun sind meine Großeltern längst gestorben und ich vermisse beide nicht, denn sie haben unserer Familie viel Unheil gestiftet, das auch der prachtvollste Sonntagsbraten nicht wettzumachen vermochte. Hätten die beiden etwas länger…

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Vorsätze

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Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, mir einen Mantel aus Efeu wachsen zu lassen, wie der Baum vor meinem Fenster einen trägt. Seit ein paar Tagen stehe ich regungslos neben dem Baum und es schlängeln sich bereits einige zarte Ranken um meine Knöchel. Die Krähen umflattern mich und rufen mir zu: „Warum denn kein Mantel aus wildem Wein? Das ist extravagant und im Herbst würdest du in kräftigem Rot erstrahlen.“ Aber die Weinranken dröhnen im Sommer vom Summen der Bienen und Wespen, da kann mir die ganze Extravaganz gestohlen bleiben. Außerdem steht mir Grün besser. So ein Efeumantel…

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Jedem Anfang wohnt ein Ende inne

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Es heißt, in der tiefsten Nacht sei das Licht nicht mehr weit. Wahrscheinlich heißt es anders und irgendein Schlaumeier weiß, wie man richtig sagt. Denn einen Schlaumeier findet man selbst in der tiefsten Nacht, ohne danach zu suchen. Ich frage mich, warum es dann auf der Welt so viele Laubbläser gibt. Der alte weiße Mann unter den Gartengeräten. Eine unpassende Metapher ist das. Ich habe nämlich nichts gegen alte weiße Männer, im Gegenteil. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen einer Analogie und einer Metapher? Nie weiß ich das! Aber ich schäme mich nicht deshalb. Ich habe andere Vorzüge. Zum Beispiel…

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Ein echter Mann

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Auf dem Gehweg bleibt heute nur ein schmales, eisiges Band, auf dem man zwischen aufgetürmtem Schnee dahinwackeln kann. Vor mir geht ein Mann. In der einen Hand trägt er eine Plastiktasche mit Aufdruck eines Lebensmittel-Discounters, in der anderen hält er eine Leine, an deren Ende ein Schäferhund hängt. Der Mann stellt die Tasche in einer Mulde im Schnee ab und kratzt sich ausgiebig die Ritze zwischen den Hinterbacken. Da ich weder ausweichen noch überholen kann, betrachte ich sein Tun ohne Freude. „Glauben Sie ja nicht, Sie könnten meine Tasche schnappen!“, herrscht er mich über die Schulter an. „Zeus, pass auf!“,…

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