Professor Brautsacks Laubsägeatelier oder der Tod des Banausen

„Ich wünsche mir zu Weihnachten ein bodenloses Fass. Zu Weihnachten wünsche ich mir ein bodenloses Fass. Ein bodenloses Fass wünsche ich mir zu Weihnachten.“

So geht es nun schon seit dem ersten Adventssamstag. Tag und Nacht, morgens, mittags und abends. In Variationen, aber immer im selben Tenor. Mein halbherziger Einwurf ‚ich dachte, wir schenken uns dieses Jahr nichts‘ bleibt unerhört ungehört und weiter geht’s: „Ich brauche ein bodenloses Fass, ein Fass brauche ich, aber ohne jeden Boden. Verstanden? Verstehst du? Ohne Boden.“

Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Da kommt mir die Postwurfsendung für alle Haushalte, die ich erst gestern im Postkasten fand, gerade recht. „Suchen Sie ein ganz besonderes Geschenk für einen ganz besonderen Menschen? Dann zögern Sie nicht und kommen in Professor Brautsacks Atelier für Laubsägearbeiten. Hier finden Sie, wovon Ihre Liebsten träumen.“

Das klingt verheißungsvoll und so mache ich mich auf, den Professor in seinem Atelier zu besuchen. Das Atelier stellt sich als eine dunkle, sehr staubige Werkstatt am äußersten Stadtrand heraus und der Professor als ein extrem magerer Mann mit rundem Rücken und einem Kneifer mit zweifingerdicken Gläsern. Aber durchaus nicht unfreundlich, sondern von einer fast angelsächsischen Höflichkeit.

„Ich habe Sie bereits erwartet“, sagt er und schüttelt mir überschwänglich die Hand, wobei mir auffällt, dass ihm Mittelfinger, Ringfinger und ein großer Teil des kleinen Fingers fehlen.

Dass der Professor mich erwartet hat, kommt mir jetzt schon ein wenig seltsam vor, habe ich doch niemandem von meinem Plan, ihm einen Besuch abzustatten, erzählt. Und während ich noch über diese merkwürdige Begrüßung nachdenke, sehe ich ihn husten. Einen trockenen, feinen Husten, der bei jedem Ausatmen einen Hauch Sägespäne in die modrige Werkstattluft bläst. Sie kleben an seinem Schnurrbart, in den Falten seiner alten, grauen Schürze und scheinbar auch an der inneren Oberfläche seiner Lunge. Er beugt sich über ein winziges Stück Holz, sein Kneifer sitzt tief auf der Nase, und schneidet mit einer winzigen Laubsäge eine noch winzigere Eule aus. Eine von Hunderten, Tausenden. Das bodenlose Fass, erklärt er, sei die unendliche Wiederholung des Nichts im Detail.

Ich stehe da, beäuge die staubigen Regale, auf denen Heere unfertiger Tierchen hocken, und denke über die wahre Bedeutung der Bodenlosigkeit nach, als ein Kitzeln in meiner Nase beginnt. Ein unaufhaltsames Kitzeln. Ich weiß, es wird kommen. Ein Niesen. Ich schnaufe, sammle mich, „Haaa-tschi!“ – und finde mich mit einem Mal in flimmernder Leere wieder. Die Sägespäne rieseln weiter. Der Professor hebt nicht einmal den Blick. Er sägt unbeeindruckt an seiner Eule. Ohne Schlüssigkeit stelle ich fest, manchmal bin ich, manchmal eben nicht. Das Fass ist noch immer bodenlos, aber ich bin es auch.