Der Eber und der Papst

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Es ist nun schon so lange her, aber ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre, dass wir Jungs im Kreis um ein selbstgemachtes Lagerfeuer saßen und Zigaretten aus Zeitungspapier und zerbröseltem, trockenem Laub rauchten. In unserer Bande herrschten der Eber und der Papst. Das Wort des Papstes war Gesetz, und wenn er sagte, wir rauchen, dann rauchten wir. Der Eber hieß eigentlich Volker Ebert, aber das habe ich erst Jahre später herausgefunden, als sein Bild von der einzigen Litfaßsäule im Ort herabblickte und für seine Körperarbeitskurse warb. Dass der Papst in Wirklichkeit Stephan Winkler hieß, erfuhr ich auf…

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Die Vorzüge eines Schaumbades

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Um zu erkennen, dass in der Welt etwas mächtig gegen den Strich gebürstet wird, braucht es beileibe keine Hochsensibilität. Auftritt dreier, nicht unbeleibter Damen, mäßig fortgeschrittenen Alters in meinem Badezimmer: Du musst unbedingt diesen Test hier machen, riefen sie mir zu. Ich bewundere mittlerweile jeden und jede, die es zustande bringen, das Grau des Lebens ohne den Einsatz potenter psychedelischer Drogen zu ertragen – mir will das nicht immer gelingen. Na, gebt schon her, den Wisch, erwiderte ich launig. Ich stieg aus dem Schaumberg, eine der drei Damen schnalzte anerkennend mit der Zunge. Das ist die Größe für 2 Schöße,…

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Wie ein Pfau, nur mit Zähnen

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Er betrat den Raum, als wäre er Gottes eigener Bruder. Doktor Oktagon, stattlich wie ein Zwölfender, schillernd wie ein Pfau, nur mit Zähnen, donnerte, wie es seine Art war, gleich los: „Wie ihr wisst, betreibe ich seit einiger Zeit recht erfolgreich ein kleines privates Nonnenkloster am Rande der Neubausiedlung. Nun wird es niemanden in Erstaunen versetzen, wenn ich, leider wieder einmal, um Spenden bitten muss.“ Wir schwiegen betreten, schauten einander an. Nicht, dass irgendjemand überrascht gewesen wäre, der gute Doktor kam schließlich mittlerweile dreimal monatlich in die Altstadt, um an der Zitze der Bürgerschaft zu saugen. Und wir gaben alle…

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Das brummende Glück in Schwarz

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Was war die Frage? Inmitten schwerer Stadt, wo tote Schlote im Nebel tanzen, sind die Straßen Adern; die Uhr schlägt Zeit in Töne aus Bronze, brummt seltenes Glück, zwinkert ein Mann in schwarzem Gewand in den Spiegel der Auslage. Weihnachten im Fenster, ein sprühender Vulkan, gelbe Hoffnung, brodelt Ton in Ton funkelnd rote Leidenschaft – inmitten summt, murmelt die Heizung, kostbare Freude, tektonische Warenpracht. Die Antwort lässt die Frage verschwinden und weil es sich uneingeladen wähnt, verblasst grußlos das Glück.

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Der Klang guter Pläne

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Am Morgen, als ich wieder einmal vor mich hin regnete, ohne Ende in Sicht, beschloss ich, fortan ein gottgefälliges Leben zu führen. Es tönte laut in mir. Klingt nicht schlecht, dachte ich, aber wie, und meine Unwissenheit betrübte mich zutiefst, würde ich diesen Klang beschreiben können? Ich erzählte dem vegetarischen Metzger beim Einkauf von meinen Plänen, doch er schüttelte nur bedauernd den Kopf. „Welcher Gott denn?“, sagte er mit matter Stimme. „Der Gottgefälligkeitsgott ist nämlich tot.“ Das war mir neu und ich war aufrichtig erschüttert. „Was ist denn passiert?“, fragte ich. „Ein Unglück? Oder …“ ich senkte die Stimme, „war…

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Das ist ja ein Paradebeispiel

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Wer hat an der Uhr gedreht? Es war wohl Doktor Ephraim Flickspitzel, der untote Künstler, formerly known as Peter Handkäs, Brotherr üblen Angedenkens. „Es ist 5 nach 12, mitteleuropäischer Normalzeit.“ Nie hatte er sich an das Sommerzeit / Winterzeitgedöns gewöhnen können oder wollen. Wohlwollend überließ er es Jüngeren, Uhren umzustellen oder morgendliche Heißgetränke zur Unzeit zuzubereiten. „Fragen müssen doch erlaubt sein“, sagt Flickspitzel, a.k.a. Nobelpreis-Pete, in der ihm eigenen schnarrenden Tonlage, „haben Rechtshänder überhaupt eine Seele? Und wenn nicht, was passiert hinter der Bühne, wenn sich der Vorhang ein letztes Mal für sie schließt?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, läuft er…

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Pauls Polterabend

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Was ziehst du denn zu Pauls Polterabend an? Hast du dir schon Gedanken gemacht? Ich denke seit Tagen an nichts anderes mehr. Erst wollte ich mein Gouda-Kostüm tragen, aber dann fiel mir ein, dass ich eben dieses schon auf der Beerdigung von seiner vorletzten Frau anhatte, also muss ich mir etwas anderes überlegen. Ich will doch keine alten Wunden aufkratzen. Erinnerst du dich vielleicht, was ich zum letzten Polterabend trug? Ach, da war ich gar nicht, sagst du? Stimmt ja, ich mochte das Motto nicht. Ich fand ‚Einmal ist keinmal‘ irgendwie unpassend und nicht besonders geschmackvoll. Und die Frau mochte…

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Halbwertszeit der Konsequenz

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Zwischen Pfosten kühle Stille. Mein Netz, zitternd vor Ungeduld, fängt kein Morgenlicht, nur Schatten ein. Garten, ein ungelebter Traum jenseits der Risse. Welt voller Grün, ferne Symphonie von Farben, bleibt mir versperrt, verbotene Melodie in fremdem Takt. Gedanken schweben, Seide als Faden entlang der Zeit gesponnen. Warum bleibt mir die Blättervogelschau verwehrt? Erinnerung verblasst, nur Konsequenz, ein bleiches Gespinst aus vager Schuld, vielleicht ein Jagdspiel, ein zu keckes Abenteuer. Kein Echo erinnert, Fesseln ragen. Warten hoch oben in der Ecke der Vergessenheit. Draußen Flügelschlag, Flattern von Freiheit ohne Maschen. Netz bleibt leer, Geduld still knisternd wie gefangener Tau. Halbwertszeit gestriger…

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Ein Rezept für Tränen

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a) Der Kunsthandwerker In der blauen Dämmerung seiner Stadt arbeitet der literarische Kunsthandwerker an einem Traktat über die Einsamkeit. Seine Feder, getränkt in Nachtessenz, schreibt von Melancholie, während der Mond wie ein silberner Puppenspieler von jenseits des Fensters dabei zusieht. b) Die Verwandlung Die Tinte entfaltet, wie es ihre Art ist, Harmonien verborgener Träume. Der Kunsthandwerker sucht das Rezept: die Substanz, welche vermag, süße Schwaden aus geborstenen Gedanken zu formen. c) Die Stunde In die Stille durchwachter Nacht mischen die Finger des Kunsthandwerkers Relikte verblichener Zeit: flüchtige Küsse, Erinnerungen an unbeholfene Abschiede und Ungesagtgebliebenes – ein Gebräu aus Besorgnis und…

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Der Ich-Erzähler

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Als mir vergangene Woche, nach einigen Jahren flüchtiger Geburts- und Feiertagsgrußaustausche, der Ich-Erzähler begegnete, war ich verblüfft und auch ein klein wenig neidisch, wie gesund und fit er aussah. An mir sind die Jahrzehnte leider nicht so spurlos vorbeigegangen „Erinnerst du dich an das Nachbarpärchen, über das du mal eine Geschichte geschrieben hast?“ Bei der Fülle an verfassten Texten erinnerte ich mich nicht, ich vermied jedoch, es vor dem Ich-Erzähler zuzugeben, da ich von seiner überaus launischen Natur mehr als ein Liedchen singen konnte. „Ganz ruhige Leute. Nebenfiguren eigentlich. Damals in deiner Prosaminiatur ging es darum, dass du immer laut…

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