Der Salzkrieg ist vorbei

**Personen:**

A: Ein Mann, Mitte 60, abgetragen, doch mit der Aura eines ewig Unzufriedenen.

B: Eine Frau, ähnliches Alter, mit einer melancholischen Beharrlichkeit in Stimme und Haltung.

**Greisenstimme:** (Aus dem Off, mal murmelnd, mal fast flehend, dann wieder eindringlich befehlend)

**Ort:** Eine extrem karge, fast klinisch wirkende Bühne. Zwei abgenutzte Stühle, ein kleiner, runder Tisch aus Metall, der das Licht ungnädig reflektiert. Kein weiteres Dekor. Die Beleuchtung ist neutral, unbarmherzig.

*(Die Bühne ist zu Beginn dunkel. Eine lange Stille. Dann langsam, als würde der Tag nur widerwillig anbrechen, wird sie in ein kaltes Licht getaucht. A und B treten gleichzeitig, aber von entgegengesetzten Seiten, langsam und mit spürbarer Müdigkeit auf die Bühne. Sie setzen sich auf die Stühle, ohne sich anzusehen. A reibt sich die Schläfen, B betrachtet ihre Hände.)*

A: (Nach einer Ewigkeit der Stille, die die Luft zu ersticken scheint) Es ist ja, wie man sagen muss, selbst wenn man es nicht sagen will, immer dasselbe, dieses Sitzen, dieses absolute Sitzen, das nichts anderes ist als Warten, ein unerhörtes, unerträgliches Warten, ein ständiges Verharren, nicht wahr?

B: (Ohne ihn anzusehen, ihre Stimme monoton) Das Warten ist, wie ich immer schon gesagt habe, der einzig wahre Zustand des Menschen, ein Zustand, der sich selbst übertrifft in seiner Absurdität, bis ins Groteske hinein, bis zur absoluten Lächerlichkeit, die nur vom Tod übertroffen wird, wenn überhaupt, nicht wahr?

A: Der Tod, ja, der Tod. Ein Ende, das kein Ende ist, sondern nur der Übergang in ein noch tieferes Warten, ein noch absolutereres Warten, man möchte fast sagen, ein metaphysisches Warten, ein unentrinnbares Warten, das uns von Anfang an auferlegt wurde, von Anfang an, von jenen, die sich immer schon als die einzig Wahren betrachtet haben, die Erhabenen, die Unfehlbaren, die immer schon das letzte Wort für sich beanspruchTen, nicht wahr?

*(Eine kurze, beklemmende Stille. Das Licht flackert kurz.)*

**GREISENSTIMME:** (Murmelnd, wie ein alter Gebetsmühlenklang) Der Salzkrieg ist vorbei.

B: (Zuckt leicht zusammen, als hätte sie die Stimme nicht erwartet, obwohl sie sie kennt. Dann ruhig und ohne die Stimme zu kommentieren, ihre Augen fixieren einen Punkt in der Ferne) Sie halten uns, wie sie immer gehalten haben, nicht wahr, in diesem ständigen, diesem ununterbrochenen Zustand der Erwartung, der nichts anderes ist als eine heimliche Form der Kontrolle, der perfiden Unterwerfung unter das große Ganze, das niemand je wirklich gesehen hat, aber alle fühlen, dieses ungreifbare, alles durchdringende Etwas, das uns diktiert, wie wir zu sitzen haben, zu warten, wie wir zu atmen haben, bis wir schließlich zu Staub zerfallen, nicht wahr?

A: Staub, ja, der Staub. Die ultimative Uniform, wie ich immer schon gesagt habe, die absolute Gleichschaltung, eine Gleichschaltung, von langer Hand geplant, von den Architekten des Nichts, den Baumeistern der Leere, die ja immer schon darauf aus waren, uns in diese uniforme Masse zu verwandeln, in diese graue, willenlose Masse, die sich schließlich selbst applaudiert, wenn man ihr nur das richtige Zeichen gibt, nicht wahr?

*(A schnippt abfällig mit den Fingern in die Luft.)*

**GREISENSTIMME:** (Etwas lauter, wie ein Grummeln) Der Salzkrieg ist vorbei.

B: Und das Schlimmste daran ist ja, wie ich immer schon betone, dass sie es uns auch noch als Freiheit verkaufen, diese Freiheit des Gehorsams, diese Freiheit der Anpassung, diese Freiheit, uns selbst zu verleugnen, um nicht aus der Reihe zu tanzen, nicht aus der Reihe zu fallen, denn das wäre ja die größte Sünde, die größte aller Todsünden, nicht wahr, das Individuum, das sich erdreistet, eine eigene, eine wahrhaftige, eine unzensierte Meinung zu haben, die niemand hören will, die schließlich niemand hören darf, nicht wahr?

A: (Nimmt eine imaginäre, unsichtbare Münze aus der Tasche, begutachtet sie kritisch) Eine unzensierte Meinung, ja. Eine Absurdität in sich, wie ich immer schon argumentiert habe, ein Paradoxon, das ja niemand zu denken wagt, denn die Zensur ist nicht mehr von außen, nicht mehr die grobe Hand des Aufsehers, sondern die subtile, die viel perfidere Zensur, die wir alle in uns tragen, die kleine Stimme, die uns ja ununterbrochen zuflüstert: Sei ja nicht zu laut, sei ja nicht zu anders, sei ja nicht zu … ja, nicht wahr?

B: Nicht zu … menschlich, möchte ich sagen, nicht zu wahrhaft, nicht zu lebendig, ist doch das Lebendige die größte Bedrohung für ihr System, für ihre perfekt austarierte Maschinerie des Stillstands, nicht wahr? Alles muss im Gleichschritt marschieren, im Takt der vorgegebenen Melodie, der niemand widerstehen kann, weil sie so süß klingt, so beruhigend, so absolut logisch, so verlockend, nicht wahr?

*(A versucht, die imaginäre Münze zu schnippen, lässt sie aber dreimal hintereinander fallen. Er hebt sie resigniert auf, als wäre sie unendlich schwer.)*

**GREISENSTIMME:** (Flüsternd, aber deutlich) Der Salzkrieg ist vorbei.

A: Die Logik, ja, die Logik. Ein Wort, das alles erklärt, aber nichts versteht, ein Wort, das ja von den größten Denkern undenkbar gemacht wurde, von jenen, die immer schon die Welt in klare, in eindeutige Kategorien pressen wollten, damit niemand jemals auf die Idee kommt, die Zwischenräume zu bewohnen, die Grauzonen, die im Grunde die einzig wahren Räume der Freiheit wären, die uns genommen wurden, wie alles andere auch, nicht wahr? Aber die wurden von langer Hand ausgelöscht, vertrieben, in die absoluten Außenbezirke des Denkens verbannt, nicht wahr?

B: Und so sitzen wir hier, wie wir immer schon gesessen haben, und warten, dieses unerhörte, dieses absurde Warten, auf etwas, das niemals kommen wird, auf eine Veränderung, die nur Illusion ist, ein weiteres Produkt ihrer bösartigen Hirngespinste, um uns bei der Stange zu halten, um uns nicht aufbegehren zu lassen, nicht wahr? Denn das Aufbegehren wäre ja das Ende, das absolute Ende, ihr Untergang, und das können sie niemals zulassen, niemals, nicht wahr? Niemals.

*(A nickt langsam, legt die imaginäre Münze endgültig beiseite. B schließt die Augen, die Hände fest umklammernd. Die Stille kehrt zurück, tiefer, lähmender als zuvor.)*

**GREISENSTIMME:** (Plötzlich lauter, befehlend, mit einer letzten, verzweifelten Eindringlichkeit) DER SALZKRIEG IST VORBEI!

*(Das Licht erlischt abrupt. Totale Dunkelheit. Ende.)*