Auf der Goldwaage

Durch einen simplen Katarrh bin ich unlängst einem beachtlichen Menschheitsproblem auf die Spur gekommen. Die Benutzung der eigenen Stimme verbraucht zu wenig Energie. Der Mensch vermag in beliebiger Lautstärke und endlosen Wiederholungen in Wald, Stadt und Flur Nichtigkeiten dahinzuposaunen, ohne dass es ihn die geringste Mühe kostet.

Seit ein paar Tagen bringe ich nicht mehr als ein gebrochenes Flüstern zustande und bereits nach drei oder vier Sätzen muss ich ein Schläfchen halten, um wieder zu Kräften zu kommen. Da überlegt man sich gut, ob eine Sache der Erwähnung wert ist. Dazu kommt, die Umwelt ist gar nicht auf leise Töne eingestellt, so dass ich oftmals gebeten werde, das Gewisperte zu wiederholen. Stattdessen winke ich müde ab, denn kaum etwas ist so wichtig, dass es zweimal gesagt werden müsste.

Wenn nicht gerade eine Horde Zwerge das Innere meines Schädels mit grobem Schleifpapier bearbeitet, erfreue ich mich an den Gedanken an eine Welt, in der nur mehr geflüstert und gewispert wird, in der man sich ein Stündchen hinlegt, nachdem man einen Gedanken ausgeführt hat. Man wäre umringt von aufmerksamen Zuhörern, die stets die Ohren spitzen, damit ihnen nichts entginge, denn sowohl eine Nachfrage als auch eine Wiederholung wären viel zu anstrengend.

Ich könnte noch stundenlang die Vorteile des energieraubenden Sprechens aufzählen, doch ich fühle mich erschöpft und muss für ein Weilchen die Augen schließen.