Wen man vor sich hat

By

McMurphy spuckt seine Zigarettenkippe mit einem Schluck Rotwein aus und verzieht das Gesicht, als ob ihm der Wein nicht schmeckt. „Schmeckt dir der Wein nicht?“, fragt Gabriele Pelzfuß. Am Wein gäbe es nichts auszusetzen, antwortet McMurphy, es sei die Weltlage, die ihm das Gesicht verzöge. Weil man als Staatsmann sein Verhalten daran anpassen müsse, wen man vor sich habe. Früher sei das Gang und Gäbe gewesen, jeder Bezirksrat habe das gewusst, aber heute, mit den ganzen Flitzpiepen, die hätten keine Ahnung, wie man sich auf dem internationalen Parkett bewegt. Gabriele Pelzfuß wirft sich das Poliertuch über die Schulter und stellt…

Read More

Stummes Blut

By

Die Frau im weißen Kittel klopft mit dem Finger auf die Armbeuge und zieht die Brauen zusammen. „Sie haben aber keine schönen Venen“, sagt sie mit fröhlichem Tadel in der Stimme. Ophelia Pelzfuß betrachtet neugierig ihren Arm. „Man sieht doch gar nichts. Wie kann etwas unschön sein, wenn man es gar nicht sieht?“, erwidert sie und wünscht sich sogleich, sie hätte nichts gesagt. Die Frau im weißen Kittel wird denken, Ophelia sei neunmalklug und dann wird sie schlechte Laune bekommen und sich keine Mühe geben mit ihrer Nadel und Ophelia wird tagelang einen dicken, blauen Fleck mit sich herumtragen. Die…

Read More

Der lächelnde Schamane

By

Meine Zeit mit McMurphy neigte sich dem Ende zu, aber das wusste ich damals nicht. Es ist eine Lüge, dass man den Menschen ansieht, wenn der Tod sich nähert. Rein gar nichts habe ich gesehen. Die schwarzen Härchen auf seiner Nase waren unverändert eklig und das feuchte Grunzgeräusch, mit dem er sein schepperndes Gelächter ankündigte – alles wie immer. Der Schamane lächtelte. Hätte ich geahnt, wie wenig Zeit uns beiden blieb, ich wäre ganz anders gewesen. Hätte nicht so viel genörgelt wegen Brandflecken auf der Tischplatte oder nächtlicher Anrufe. Wäre ihm nicht ins Wort gefallen, wenn er weitschweifig seine Gedanken…

Read More

Vom Erwachen

By

Vom Erwachen verstehe ich nicht viel. Fast möchte ich sagen, ich stelle mich jeden Morgen an, als hätte ich es nie zuvor getan. Ich bin das geborene Schlafschaf, wie man heutzutage sagt. Oder zumindest ein Schlummerschaf, denn im Schlummer lauern keine krausen Träume, deren Reste mir den ganzen Tag über im Gehirn kleben. Erwachen ist ja gerade modern. Nicht so wie früher, wo es ältlichen Damen in Stützstrümpfen und billigen Kostümjacken an Hausecken in der Innenstadt vorbehalten war. Die mussten sich bei Wind und Wetter die Beine in den Bauch stehen, waren Spott und Häme der Passanten ausgesetzt und warteten…

Read More

Du und ich und Tony Iommi

By

Ich hätte misstrauisch werden sollen, als Josef Pelzfuß mir beim Kofferpacken nervös über die Schulter schaute. Aber da dachte ich mir noch nichts und schmuggelte einen knappen Bikini mit tropischem Muster unter die Handtücher. In Gedanken sah ich Josef und mich Hand in Hand am Strand entlang schlendern und spürte neben der Vorfreude schon die Brise der Biskaya in meinem Haar. Drei Wochen lagen vor uns. Drei Wochen ohne meine mürrische Mitbewohnerin, ohne ihren müffelnden Leguan Fabrizius und ohne das Hämmern der Nähmaschinenfabrik im Erdgeschoss. Ich warf das Sonnenöl in den Koffer, klappte ihn zu und machte ein paar südseeartige…

Read More

Wann heilen die Wunden?

By

Der kleine Mann kratzt sich mit dem dicken Zeigefinger an der Nase und wackelt langsam mit dem Kopf. Dann lacht er und klatscht vergnügt zweimal in die Hände. „Vielleicht morgen, vielleicht nie. Wer kann das schon wissen?“ Er kichert und schnippt mit dem dicken Zeigefinger gegen den Verband. Dann hält er sein Stethoskop dagegen und lauscht mit gerunzelter Stirn. „Nichts zu hören“, sagt er nach einer Weile und schnippt erneut, diesmal etwas fester. Luna Pelzfuß stöhnt vor Schmerz. „Na also!“, ruft der Professor erfreut und steckt das Stethoskop in die Tasche seines weißen Kittels. „Das hat weh getan!“, beschwert sich…

Read More

Tanz der Ambivalenzen

By

Einerseits mag ich keine Fremdwörter und den Witz mit Catherina Ambivalente habe ich bereits vor zehn Jahren in einem Text verbraten. Das passiert mit der Zeit immer öfter, dass ich eine schneidige Formulierung benötige, aber sie ist gar nicht mehr schneidig, sondern steht verbraucht und stumpf in einer alten Geschichte, für die sich schon niemand interessiert hat, als sie noch aktuell war, was eine Mischung aus Düsterkeit und Verbitterung in mir weckt, für die ich mich räche, indem ich ellenlange Sätze hinschreibe, die am Ende nichts aussagen, nur um meine Leser zu ärgern. Aber andererseits: Protoplasma. Das ist ein feines…

Read More

Die schwebende Kugel

By

Die Leute dachten, es würde sich niemals etwas ändern. Doch seit der Haderlump ein Projektil mit seinem Ohrwaschel aufgefangen hat, ist nichts mehr, wie es war. Kreischend tanzt der Herr der Schöpfung mit seinen Lakaien, sie wirbeln in einer Mischung aus Bräsigkeit und Hysterie über die Bühne, präsentieren der Menge ihre roten Hinterteile und picken sich gegenseitig Flöhe aus dem Pelz, um diese dann in Siegerpose in die Höhe zu halten, während die anderen Primaten sich beschämt abwenden. Ich wünschte, das Publikum würde einfach gehen, die Bande unbeachtet stehenlassen. Oder wenigstens zu Seite treten. Dann wäre ich eine schwebende Kugel,…

Read More

Im Bann

By

Früher, als die Welt noch magisch war, belegte man die Böslinge mit einem Bann, damit sie keinen Schaden anrichten können. Zugegeben, ganz so einfach war das nicht, und es ist auch nicht die Wahrheit, aber es könnte immerhin ein klein wenig wahr sein. Und das genügt heutzutage. Vielleicht hat es auch früher schon genügt, wer weiß das schon? Für Ruben Pelzfuß spielt das keine Rolle. Ruben Pelzfuß ist zornig. Man hat ihn aus dem Paradies vertrieben, ohne dass er je eine Frucht vom Baum der Erkenntnis gekostet hätte. Das ist schlicht skandalös. Sippenhaft ist das. Ungeheuerlich. Er beißt die Zähne…

Read More

Eine Zeit der rüden Worte

By

Diese Gleichzeitigkeit von Todesangst und Sorglosigkeit erweckt den Wunsch in mir, die Leute zu schubsen oder zu stechen oder ihnen die Haut mit einem Spargelschäler abzuziehen. Irgendwas, damit sie danach tot sind jedenfalls. Es sollten überhaupt viel mehr Leute tot sein. Über die Toten spricht man nur Gutes. Einen angenehmen Umgangston gäbe es und mehr Platz und weniger Kohlendioxid und keine Massentierhaltung. Ein Spargelschäler? Echt jetzt? Das ist nur ein Beispiel, wie man mit einem an sich harmlosen Haushaltsgerät ein Blutbad anrichten könnte. Schau nicht so. Ich mache es ja eh nicht. Wie sollte das auch gehen? Die meisten Leute…

Read More