Ein Traum

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Die Innennähte des Kostüms sind mit Nylonfäden vernäht, die mich ins Genick und unter die Achseln pieksen. Nicht nur da, auch anderswo piekst es; davon will ich gar nicht anfangen. Aber ich beklage mich nicht. Immerhin ist es eine Arbeit, die nicht allzu schwer ist. Andere müssen in Drecklöchern irgendwelche Erze mit bloßen Händen abbauen, das Ganze bei großer Hitze. Ich habe Filme gesehen, da wird es einem ganz anders zumute. Dagegen ist mein Tagwerk ein Traum. Man wirft mir Bälle zu, die ich nicht fangen kann und ab und an singe ich ein Lied, führe einen Tanz oder ein…

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Der Riss des roten Fadens

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Der Sturm bläst gegen die Fensterscheiben. Das macht ein Geräusch, ganz leise zwar, aber es trägt eine Wut, wie man sie mit dem lautesten Geschrei nicht hinbekäme. Die Bäume biegen sich und ächzen und klammern sich an ihr Laub. Wäre ich Goldsucher oder Alpinist, würde es mich vielleicht trotz des widrigen Wetters hinausziehen, weil ich dringend einen glänzenden Klumpen wollte oder einen Felssturz, der im Abendlicht glüht. Früher wäre ich auch ohne ein erhabenes Ziel nach draußen gegangen. Nur um mein Gesicht in das Toben zu halten, um zu beweisen, dass es mir nichts ausmacht. Aber heute schmerzen die Knochen…

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Über dem großen Teich

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Gerhard Pelzfuß liegt bäuchlings auf dem Steg und späht durch den Spalt zwischen zwei Brettern in den großen Teich hinab. Unten tummeln sich Goldfische. Er betrachtet einen kleinen dunkelroten mit zerzausten Flossen und vielen Flecken, der sich direkt unter ihm hinter einer Wasserpflanze versteckt. Heute wäre sein Vater achtundsiebzig Jahre alt geworden. Manchmal versucht Gerhard Pelzfuß, ihn sich als alten Mann vorzustellen, aber das gelingt ihm nicht. Gerhards Vater war ein katholischer Buddhist gewesen, der nicht an Gott glaubte. Sein Geist war groß, deshalb waren solche Widersprüche kein Problem für ihn – nicht dass er keine Probleme gehabt hätte. Im…

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Am Tag, als der Regen kam oder was Bela Lugosi im Urwald widerfuhr

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Mit einem Papagei auf der linken Schulter stakste Bela Lugosi, Held unzähliger Filmklassiker und Ornithologe aus Leidenschaft, durch das Unterholz und hielt Ausschau nach dem Unentdeckten. „ … und ’ne Buddel voll Rum!“, krächzte der Vogel. Bela Lugosi griff in die Tasche seines Seemannsmantels und fütterte den gefiederten Freund mit Sonnenblumenkernen. „Still jetzt! Ich glaube, wir nähern uns dem Zielgebiet.“ Der Papagei legte den Kopf schief, kaute, hielt den Kopf in die andere Richtung, kaute weiter und nickte. Aus dem Dickicht erklang eine Stimme: „Geben Sie Acht, dass Sie nicht in die Grube fallen! Da werden Sie gleich durchbohrt, zack!…

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Spinnefeind

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Wenn der Wind das bunte Laub von den Bäumen bläst, besuche ich meist meinen Onkel Pekarek. Es ist ein Überbleibsel aus Kindertagen, als die Ferien so lange dauerten, dass man in den letzten Wochen fortgeschickt wurde, damit die Familie sich nicht allzu sehr hasste. Um den Anschein zu erwecken, man wolle nur das Beste für den Nachwuchs, wurde kein Besuch bei meiner bissigen Großmutter vorgeschlagen. „Was hältst du davon, wenn du für ein paar Tage Onkel Pekarek besuchst?“, fragten meine Eltern scheinheilig, denn ihre eigene Reise an irgendeinen kinderfeindlichen Ort war längst gebucht. Ich sagte niemals nein, denn Onkel Pekarek…

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Die Tür in den Herbst

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Es gibt Dinge, gegen die ist man machtlos. Wenn einen die Traurigkeit anfällt, wie ein Landregen, zum Beispiel. Ob man versucht, sein eigenes Glück zu schmieden oder denkt, es gäbe nur falsche Kleidung, weil das Wetter ist immer gut; ob man einen Gaul zu verschenken hat oder beste Absichten: man wird nass. Bis auf die Knochen. Ich habe versucht, mir ein paar Pölsterchen anzufressen, damit die Gebeine nicht mehr so prominent sind, aber das war eine vergebliche Mühe. Nur die Hosen zwicken einen am Bauch und man keucht beim Schuhe schnüren. Ich muss nur die Augen offen halten, sage ich…

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Nassrasur

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Am Ende des Sommers blökt eine Stimme Kauderwelsch aus einem Lautsprecher. Irgendwo in der Ferne, hinter dem Gezwitscher der Vögel. Der Stadtteilvertreter einer Partei, den es in die Hauptstadt zieht, vermute ich. Obwohl nichts zu verstehen ist, beunruhigt es mich. Dem Barbier, der von Zeit zu Zeit meinen Backenbart stutzt, entgeht das nicht und so schwatzt er munter über den Sand an seinem Urlaubsort und die schöne Aussicht vom Hotelbalkon und die Vorzüge einer privaten Altersvorsorge. Während er spricht, gestikuliert er mit dem Rasiermesser. Aus Angst um mein Ohr fange ich an zu sprechen. „In meinem Schädel rennen zahllose Rädchen…

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Der Nusskopf

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Ein Leben lang im Grünen. Das will auch niemand. Aber einen grünen Bereich, das wollen alle. Mit ihren kleinen Kindern in Schalensitzen auf den Rücksitzbänken rauschen sie vorbei. Ins Grüne, ins Grüne, raus aus der Unbarmherzigkeit, Schwipp-Schwapp, abgesoffen im Mittelmaß, im Mittelmeer, im Mittelklassewagen. Eine Fläche von 97 Fussballfeldern wird jeden Tag betoniert, damit die Planierraupen zu Fressen kriegen und im Jahr danach als speiende, spuckende Tupolews über den Frühlingshimmel donnern können. Meinethalben sollen sie alles zerschießen, die Zierhecken, die Maikätzchen, die gotischen Kirchen und den traurigen Mob, dem Tränen über das teigige Gesicht rinnen. Auf Asphalt kann keiner mehr…

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Abschied vom Abendland

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„Passiert es Ihnen häufig, dass Sie etwas von Bedetung sagen wollen, aber alles, was Ihnen in den Sinn kommt, klingt wie die Rede eines Knabenschullehrers aus einem Unterhaltungsfilm der fünfziger Jahre?“ Die Personalchefin tippte mit der Rückseite ihres Kugelschreibers einige Male auf die Schreibtischunterlage aus buntem Plastik. Hasdrubal Pelzfuß strich mit der Fingerspitze sein Ohrläppchen entlang. Das Bewerbungsgespräch zog sich unangenehm in die Länge und Hasdrubal konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, als auf den Mund der Personalchefin. Einen Riesenmund hatte die, voller winzig kleiner Zähne. Sicherlich achtzig oder hundert Zähne mussten das sein. Etwas Derartiges hatte er nie zuvor…

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Rede des Großen Biestes an die Vereinten Nationen

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„Ich will, dass alles Egozentrische in oranges Neongrell getränkt erscheint. Damit ihr seht, in welchem Zustand die Welt ist. Die Augen würden euch aus dem Kopf fallen. So zahlreich, dass man auf den Gehwegen knöcheltief in Augäpfeln würde waten müssen, wollte man sich ein Laib Brot aus der Bäckerei holen. Da würde man lieber online bestellen. Das geht aber nicht, weil man augenlos blind voller Verzweiflung durch die Welt taumelt und wieder und wieder der Länge nach auf dem Augapfelteppich hinschlägt. Insgesamt also eine deutliche Verbesserung zum gegenwärtigen Zustand der Welt. Sie sehen! Mein Problem ist, dass nichts von alledem…

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