Der Kopf ist voll

By

Mascha ist die älteste der Pelzfuß-Schwestern. Auf den ersten Blick denkt man das nicht. Müsste man als Unbekannter die Geschwisterschar dem Alter nach in einer Reihe aufstellen, befände sich Mascha irgendwo in der Mitte. Tatsächlich ist sie über tausend Jahre alt und das sieht man ihr wahrhaftig nicht an. Ihr Kopf ist zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, da gibt es keinen Platz zum Schmieden von Plänen, seien sie auch noch so kurzfristig. Dennoch stellt sich Tag für Tag eine frische Zukunft ein, voller Vorkommnisse und Überraschungen, die nach allzu kurzer Gegenwart Raum im prallen Schädel beanspruchen. Zu jedem Ereignis, sei…

Read More

Der Haussegen

By

Schindhelm Pelzfuß erinnert sich noch genau an seinen ersten Schultag. Auch hat er nicht vergessen, wie er in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen wurde. Beides gleichermaßen ein Betrug, wie so vieles im Leben. Man nimmt sich vor, bei den eigenen Kindern alles anders zu machen, aber dann bekommt man keine oder macht es doch genauso. Herr Pelzfuß hat Kinder. Vier an der Zahl. Er bewahrt sie in einem Kämmerchen am Ende seiner Wohnung auf. Alle sechs Wochen nimmt er den Nachwuchshobel zur Hand und entfernt sorgfältig den Überschuss. Mit den Jahren hat er einen besonderen Schwung entwickelt. Er summt dabei…

Read More

Die Katastrophe

By

Früh im Jahr, wenn der Schnee scharfe Kanten bekommt, erinnere ich mich an Bogumil Palatschink. Wir teilten uns ein Badezimmer und eine Küche auf der gleichen Etage in einem Haus mit Wänden aus Pappmaché. Bogumil ließ sommers wie winters die Fenster offen stehen und im Februar war sein Fußboden von eisigen Platten bedeckt, die unter seinen Schritten krachten. Seine Mutter brachte uns jede Woche blutfarbene, muffig schmeckende Marmelade, die sie selbst einkochte. Bogumil war voller Undankbarkeit und bereitete seiner Mutter viel Kummer. Umgekehrt verhielt es sich ebenso und die beiden wurden niemals müde, mir davon zu berichten. Eines Abends, kurz…

Read More

Die Wanderung

By

Die Leute haben romantische Vorstellungen von der Flucht. Als sei sie etwas Besonderes, als hätten sich die Menschen nicht immer schon in Bewegung gesetzt, sobald es ihnen allzu unbehaglich wird. Im Grunde ist doch das Leben nichts anderes: Man strampelt, bis es einem angenehm ist, verharrt dann in der Hoffnung, der Zustand möge Bestand haben. Hat er nicht. Weiter. Alma Pelzfuß starrte in die Tasche, die zu ihren Füßen lag. Das Maul weit aufgesperrt, zeigte sie ihr den leeren Schlund, begierig, alles aufzunehmen, was Alma für wichtig erachtete. Was würde sie mitnehmen in das Neue? Die Tasche durfte nicht zu…

Read More

Des Königs verlorene Würde und Servietten aus feinstem Damast

By

Seit ich König geworden bin, plagen mich Migräneanfälle. Ich glaube, das kommt von der Krone. Sie sitzt einfach nicht richtig. Links an der Schläfe drückt das Metall und an der Stirn spüre ich die Edelsteine, obwohl man mir sagt, das könne nicht sein. Man möchte meinen, als Monarch würde einem der Kopfschmuck auf Maß gefertigt, aber Pustekuchen. Man trägt die Krone vom Vorgänger auf, wie ein kleines Geschwisterkind aus ärmlichen Verhältnissen die Hosen des Bruders. Apropos Bruder. Ich musste tatsächlich seine Hosen auftragen. Es war mir nämlich nicht von Geburt an bestimmt König zu sein. Mein Vater wollte, dass ich…

Read More

Endstation Norbert

By

Wenn keine Züge vorbeifahren, kann Martina Pelzfuß am anderen Flußufer ein Feld sehen und weit dahinter Berge, die in grünen Wellen dem Himmel entgegen rollen um dann in zornigen, grauen Zacken voller Neid ins Blau zu stechen. Auf dem kleinen Bahnhof, in dessen Fahrkartenschalter Martina Pelzfuß tagein tagaus sitzt, ist nicht viel Betrieb. Meist hat sie Zeit, den kleinen Ausschnitt der Welt zu betrachten, den ihr das kleine Fensterchen zeigt. Ein Mann mit roten Äderchen auf den Wangen drängt sich in ihr Blickfeld. Auf dem Kopf sitzt schief eine mächtige Pelzmütze. Er räuspert sich, als müsste er ihre Aufmerksamkeit erregen,…

Read More

Impulswahl

By

„Melanchthon, Melanchthon! Wenn du so weiter machst, wird es dir noch übel ergehen. Wer die Mütze am Sims liegenlässt, ist für Erquicklichkeiten nicht bereit und muss irreale Werte am Zahlenstrahl einzeichnen. Das ist keine Strafe, sondern die natürlich gewachsene Frucht der Tat. Schmeckt sie dir nicht, so bedenke hinkünftig dein Handeln zur rechten Zeit, anstatt jetzt, wo es zu spät ist, mit Geheul und Zähneknirschen dein Leben zu vertrödeln. Das Gespräch wird zu Schulungszwecken aufgezeichnet. Wenn du damit nicht einverstanden bist, drücke bitte die Vierhundertzwölf.“ Voller Unbehagen starrte Spartakus Pelzfuß auf die Wählscheibe seines Telefons. Einen Versuch war es allemal…

Read More

Kein Attentat

By

Mir gegenüber sitzt ein nervöser junger Mann. Ein dauerndes Wippen mit dem Fuß lässt den Pelz seiner Kapuze erzittern. So wirkt er wie ein Wildtier, das im Wald Witterung aufnimmt. Hätte er bewegliche Ohren, wären sie auf eine Gefahr in der Ferne gerichtet. Ich würde es auch riechen können, käme nicht von etwas weiter hinten eine Wolke Rasierwasserduft geflogen, die einen undurchdringlichen Belag in meiner Nase bildet. Hinter seiner Anspannung und den wie Billardkugeln umherschießenden Augen schläft eine Müdigkeit, wie sie sich nur entwickeln kann, wenn einer jahrelang zu wenig schläft. „Leg dich hin! Ruh‘ dich ein wenig aus!“, möchte…

Read More

Die Erbschaft

By

Von meinem Vater habe ich einen Lustschutzbunker geerbt. Das klingt drolliger als es ist. Er starb mit Schaum vor dem Mund, was zu ihm nicht passte, zu den Umständen hingegen schon. Zeitlebens war ihm der Geifer fremd geblieben. Genützt hat es ihm nichts – obwohl – wie könnte ich beurteilen, woraus die Toten Nutzen ziehen? Sei es drum, der Bunker bietet mir Schutz vor ungünstiger Witterung, Bitternis und den Anwürfen der Menschheit. Hat die nichts Wichtigeres zu tun, als mir Gemeinheiten anzutun? Ich nehme das Allgemeine persönlich, so einfach ist das. Der Bunker zeigt mir durch eine Glasscheibe einen kleinen…

Read More

Gewissen

By

Durch den verschneiten Wald läuft ein Rehlein. Es ist noch klein, mit weißen Tupfen auf dem Rücken. Aber nicht mehr so klein, dass es nicht zurecht käme. Es weicht den Schneeflocken aus. Das Rehlein ist auf der Suche nach einem Gefährten. Es wünscht sich einen Dachs. Ein grummelnder Dachs mit schlechter Laune und tiefen Gedanken soll es sein. Bald findet es einen Bau und klopft mit dem Paarhuf an einen Ast. Der Dachs guckt durch den Türspion. Rehe mag er nicht. Da es aber schon spät ist und bald die Jägerin auftauchen wird, öffnet er und lässt das Rehlein ein….

Read More