Das Flüstern der staubigen Uhr

Als ich klein war, kam uns einmal im Monat Papst Gregor besuchen. Er hatte auch eine Nummer, aber die durften wir Kinder nicht wissen, denn er wollte kein Gerede in der Nachbarschaft. Aber die Nachbarn tratschten natürlich trotzdem.

„Bei den Baader-Meinhofs kommt wieder der Papst“, sagten sie hinter vorgehaltener Hand, wenn sie sahen, wie meine Mutter säckeweise Hausstaub aus dem Keller hochschleppte.

Denn die Wohnung musste ein Saustall sein, sonst wurde der Papst ungemütlich. Sauberkeit und Ordnung waren unchristlich, nicht umsonst sprach man ja vom Putzteufel. So stapelten wir bereits Tage vor seiner Ankunft schmutziges Geschirr in der Küche und am großen Tag holte die Mutter dreckige Laken aus einer Kiste und verteilte den Staub mit meinem Sandspielzeug in der Wohnung. Zum Schluss bekamen mein Bruder und ich die Wangen und Finger dick mit Marmelade eingeschmiert.

Bevor er uns begrüßte, inspizierte Papst Gregor jeden Winkel und manchmal holte er sogar sein goldenes Periskop aus der Soutane hervor, um unter den Toilettenrand zu lugen. War er zufrieden, ließ er sich Mutters Kardinalschnitten schmecken, die er sich mit einer fleckigen Kuchengabel in den Mund stopfte.

Zu meiner Erstkommunion schenkte Papst Gregor mir eine Kuckucksuhr, die von einer klebrigen Staubschicht bedeckt war. Jede Stunde kämpfte sich ein leibhaftiger Kuckuck mit zerfleddertem Gefieder durch das quietschende Türchen und nieste die Stundenzahl. Ich bedankte mich artig, obschon ich für Uhren nichts übrig hatte. Kaum hatte der Papst uns verlassen, holte meine Mutter den Staubsauger und Lappen hervor und putzte die Wohnung blitzblank.

Nach dem Abendbrot vernahmen wir ein Flüstern aus dem Inneren der Uhr. „Heidenpack! Häresie! Das sage ich dem Vatikan.“

Um Mitternacht öffnete sich das Türchen der Uhr, der Kuckuck schüttelte sich, breitete die Flügel aus und flog zum Fenster hinaus. Eine Woche später wurde die ganze Familie exkommuniziert. Ich schwor mir, zeitlebens keinen Putzlappen mehr anzufassen, aber die Kirche hat mich bisher nicht wieder in ihren Schoß aufgenommen.