„…dessen Äste in den Himmel wachsen! So wie wir! So wie Daberlitz!“
Bürgermeister Jentschke wischt sich den Schweiß von der Stirn, seine Stimme wird immer lauter und gehetzter. Die versammelte Daberlitzer Bürgerschaft sitzt und schwitzt und versucht, nicht einzuschlafen.
„Wir sind wie dieser Baum! Stark, verwurzelt, und… und…“
Kuckuck!
Bürgermeister Jentschke reißt den Kopf hoch, fixiert den Baum mit einem starren Blick. „Ja! Wie dieser Baum! Und dieser Baum… ist ein Resonanzkörper. Ein hölzernes Echo unserer tiefsten Wünsche! Er speichert die Flüche der Vergangenheit und die zaghaften Hoffnungen der Zukunft. Und er… er…“ Seine Augen weiten sich. „…er ist besessen!“
Kuckuck!
„Besessen von der Essenz des Kuckucks! Dieser Vogel, der uns unvermittelt die Wahrheit ins Gesicht schreit, die Wahrheit, die wir so ängstlich unter dem Teppich des Konformismus zu verstecken trachten! Ein Parasit der Gewissheit, ein Infragesteller der Ordnung! Und wir… wir sind seine Wirte!“ Bürgermeister Jentschke gestikuliert wild.
Kuckuck!
Bürgermeister Jentschke beugt sich vor, als würde er ein Geheimnis verraten. „Dieser Kuckuck, er ist nicht einfach nur ein Vogel! Er ist Metapher! Die Metapher für die unaufhaltsame Entropie, den Zerfall aller Ideale! Er ist der Beweis, dass selbst die solidesten Strukturen letztendlich dem Chaos anheimfallen! Er ist der…“ Er ringt nach Worten. „…der tickende Albtraum in unserer kollektiven Kuckucksuhr!“
Kuckuck!
Bürgermeister Jentschke verstummt abrupt, seine Brust hebt und senkt sich schwer. Er starrt in die Menge, ein Ausdruck tiefer Verwirrung in den Augen. Dann lächelt er schwach. „Verzeihen Sie. Ich glaube, ich brauche eine Kuckucksuhr. Und einen sehr, sehr starken Kaffee.“ Er nickt kurz zu schwachem Applaus und verlässt das Rednerpult; das Echo des Kuckucks liegt noch in der Luft.