„Bei deiner Mutter ist ja nicht mehr viel los im Oberstübchen“, raunt mein Vetter Kaiphas mir über den Tisch hinweg zu.
Er heißt nicht wirklich Kaiphas, den Namen trägt er nur innerhalb der Familie, weil er eine Arschgeige von biblischen Ausmaßen ist. Ich weiß gar nicht, warum oder von wem er zum Essen eingeladen wurde, aber da er nun einmal da ist, habe ich ihm einen Teller Fritattensuppe hingestellt. Die habe ich extra für blöde Gäste im Gefrierschrank.
Die Mutter sieht ihn mit belustigtem Ausdruck an und löffelt ihre Nudeln mit Soße.
Ich kann meine Mutter nicht sonderlich leiden, aber Kaiphas mag ich noch weniger, daher kommt wohl das ungewohnte Gefühl, ihr beispringen zu wollen. Es empfiehlt sich, stets jemanden zu haben, den man noch weniger ausstehen kann, als alle anderen. Das hilft bei der Freundlichkeit. Und Freundlichkeit ist ein hohes Gut in diesen Zeiten, wo sich alle Welt wegen irgendwelchem Pipifax gegenseitig den Schädel einschlägt. Schließlich will ich ein guter Mensch sein.
Die Mutter fragt zwischen zwei langgezogenen Schmatzern, ob es bezüglich des Zeltdachs Gesetze zu beachten gilt und ob das ihre Schuhe sind, die an ihren Füßen stecken. Ich betrachte ihre weißen Klettsandalen und schon ist mir die Solidarität vergangen.Trotzdem spucke ich Kaiphas in die Suppe, als er ein Selfie macht.
Ich zünde mir eine Zigarette an und da fällt mir auf, dass außer Kaiphas und der Mutter niemand da ist. Vermutlich habe also ich ihn eingeladen. Als guter Mensch räche ich mich nämlich am liebsten an mir selbst.