Zubrots ungehörtes Schicksal

Die Abendsonne wirft ihr vom Tag lahm gewordenes Licht auf die Stadt. Der Sommer ist vorüber, aber die Menschen weigern sich, den Herbst willkommen zu heißen und werden mit Schnupfen und kalten Füßen dafür gestraft. In einer der letzten Sonnenpfützen sitzt ein Unglücksrabe und wartet mit vor Scham geschwollenen Füßen auf Almosen. Als ich mich zu ihm hinab beuge und Kleingeld auf seine Decke lege, flüstert er mir zu:

„Das kann jedem passieren. Irgendeinen Unfug macht jeder einmal. Glauben Sie mir!“

Er greift nach meiner Hand, aber ich wende mich ab und eile davon. Deshalb höre ich seine Geschichte nicht.

Salomon Zubrot schließt seinen Laden ab und schlägt den Mantelkragen hoch. Hastig geht er die Straße entlang, den Blick fest auf den Boden geheftet, nur hie und da linst er in einen Hauseingang. Herr Zubrot fürchtet, dem Hehl zu begegnen.

Ein paar Wochen zuvor hatten er und sein Bruder Erich am Ende eines bierseligen Abends den Einfall gehabt, aus einer unliebsamen Familienangelegenheit ein Hehl zu machen, obwohl ihnen die Mutter jahrzehntelang eingeschärft hatte, dies sei in jedem Fall zu unterlassen. Die Geschwister hatten nicht damit gerechnet, dass es gelingen würde, doch nun hatte Salomon es am Hals.

Auf den ersten Blick scheint es nicht viel mehr als ein alter Lappen zu sein. Doch der rechteckige Körper aus bleicher, druchscheinender Haut verstellt ihm die Sicht auf dies und das, und wenn er versucht es beiseite zu schieben, bekommt es schweißklamme Pfötchen mit winzigen Krallen, die überall Halt finden. Nach Belieben dehnt es sich aus, indem es tiefe Atemzüge nimmt, ohne Weiteres könnte es einen Sportplatz zudecken. Salomon Zubrot ist praktisch veranlagt und versucht, das Hehl als Decke oder Badetuch zu benutzen, aber es sträubt sich, flattert und flappt ihm um die nackten Beine, und obendrein schaut es ihn mit stummem Vorwurf an.

Zu gern würde er das Ungemach mit seinem Bruder teilen. Der aber lässt sich nicht mehr sehen und geht auch nicht ans Telefon, oder das Hehl verbirgt ihn, wie es alles Wesentliche verbirgt, Salomon Zubrot weiß es nicht.