Zwei Augen, ein Kopf

„Was ich nicht ausstehen kann? Wenn Leute sagen, ‚wie das Leben so spielt‘ oder ‚man trifft sich immer zwei Mal‘. Das regt mich auf. Tiefe Einsichten in den Lauf von Welt und Schicksal sollen damit angedeutet werden. In Wirklichkeit reden nur Arschgeigen so daher.“

Ich habe den Mann auf der anderen Seite der Glastheke nicht nach seinen Abneigungen gefragt. Offen gestanden habe ich bis eben nicht einmal bemerkt, wer die Fleischwaren herüberreicht, denn ich hatte nur Augen für Aufschnitt und Gedanken für Schweinernes. Morgen kommen Gäste. Nun mustere ich ihn aufmerksam, unter Umständen sind wir miteinander bekannt, und er setzt ein Gespräch fort, das wir ein andermal aus wichtigen Gründen unterbrechen mussten. Seine hellen Augen liegen weit auseinander, gerade noch auf der selben Seite des Kopfes. So sehen nicht viele Menschen aus. Auf seinem weißen Kittel trägt er ein Namensschildchen. „Herr Rosinger“ steht darauf. Er wippt auf den Fersen und ein verächtliches Schnauben entfährt ihm.

„Darauf folgen nur Gehässigkeiten. Am schlimmsten sind die Frauen. Als ich ein kleiner Junge war, haben sich die Mädchen vor mir gegruselt.“ Die beiden Augen blicken jedes für sich böse. „Ich habe in der Sandkiste Hundekot gegessen, damit sie sich umso mehr gruselten. Die anderen Jungs gaben mir eine Kupfermünze für jedes Würstchen. Aber eine goldene Nase verdient man sich da nicht.“

Auch in meiner Kindheit gab es einen Jungen, vor dem wir Mädchen uns gruselten, weil er für Kupfermünzen Hundekot aß. Aber seine Augen lagen nicht so weit auseinander. Ob es so einen in jeder Sandkiste gab? Womöglich habe ich schon einen von ihnen geküsst. Ich fühle mich unbehaglich. Nein. Das ist ein absurder Einfall. Ich bin sicher, dass er es ist. Seine Augen sind im Laufe der Jahre voneinander fort gewandert. Aus Scham über die scheußliche Kost und den schnöden Lohn. Erleichtert laufe ich davon, während mir das Grausen den Rücken hinabrinnt. Wie ich es schon als Kind getan habe.