Literarisches

Als ich Rasputin war

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Vor meinem Fenster Kinder, die rufen: Ra-Ra-Rasputin. Kleine Münder formen Worte, die sie nicht verstehen. Fensterglas vibriert, Echo meiner selbst, meiner Vergangenheit? War ich Rasputin? Vielleicht nur Traum, Fieberwahn. Spiegelbild zeigt Mann mit Bart, aber Bart lügt. Augen verraten nichts, außer Leere. Leere, die schreit: Du bist nicht du! Aber wer dann? Frage hallt, Antwort bleibt stumm. Draußen marschieren Soldaten, Fahnen wehen, Parolen dröhnen. Neue Weltordnung, alte Phrasen. Rasputin tot, aber Geist lebt weiter. In mir? In dir? In jedem, der fragt. Kinder vor dem Fenster rufen: Ra-Ra-Rasputin.

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Du und ich und Tony Iommi

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Ich hätte misstrauisch werden sollen, als Josef Pelzfuß mir beim Kofferpacken nervös über die Schulter schaute. Aber da dachte ich mir noch nichts und schmuggelte einen knappen Bikini mit tropischem Muster unter die Handtücher. In Gedanken sah ich Josef und mich Hand in Hand am Strand entlang schlendern und spürte neben der Vorfreude schon die Brise der Biskaya in meinem Haar. Drei Wochen lagen vor uns. Drei Wochen ohne meine mürrische Mitbewohnerin, ohne ihren müffelnden Leguan Fabrizius und ohne das Hämmern der Nähmaschinenfabrik im Erdgeschoss. Ich warf das Sonnenöl in den Koffer, klappte ihn zu und machte ein paar südseeartige…

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Kolumbianisches Finale

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Kaum-Ich: Erzähl doch mal von Kolumbien! Nicht-Ich: Das würde dann ungefähr so klingen: Willkommen in Kolumbien, dem Land der magischen Berge, aufregenden Züge und leckeren Schokolade! Stell dir vor, einsame Gipfel, die sich fast bis zum Himmel strecken, und grüne, blühende Wiesen, auf denen Kühe zufrieden grasen und leise läuten. Diese Kühe sind der Grund, warum Kolumbien so viele köstliche Käsesorten hat, die du probieren kannst! In Kolumbien kannst du mit Zügen fahren, die wie im Abenteuer durch Tunnel und über Brücken sausen. Besonders spannend ist die Fahrt hinauf zu schneebedeckten Gipfeln, wo man im Winter Ski fahren oder im…

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Wann heilen die Wunden?

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Der kleine Mann kratzt sich mit dem dicken Zeigefinger an der Nase und wackelt langsam mit dem Kopf. Dann lacht er und klatscht vergnügt zweimal in die Hände. „Vielleicht morgen, vielleicht nie. Wer kann das schon wissen?“ Er kichert und schnippt mit dem dicken Zeigefinger gegen den Verband. Dann hält er sein Stethoskop dagegen und lauscht mit gerunzelter Stirn. „Nichts zu hören“, sagt er nach einer Weile und schnippt erneut, diesmal etwas fester. Luna Pelzfuß stöhnt vor Schmerz. „Na also!“, ruft der Professor erfreut und steckt das Stethoskop in die Tasche seines weißen Kittels. „Das hat weh getan!“, beschwert sich…

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Memento Moritz

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Haus flüstert: „Moritz“. Nicht laut, eher ein Zischen zwischen morschen Dielen, Spalten im Mauerwerk und bröckelndem Putz. „Moritz, Moritz,“ haucht es, als Sonne durch seine fahlen Fenster fällt. Staub zeichnet Antlitze, Teilchen in Luft. Stühle stehen verlassen, warten auf einen Gast, der nie kam. Teller, halbvoll mit Brei, steht auf dem Tisch – ein Festschmaus der Fliegen, die fliegen und krabbeln. Garten verwildert, Efeu rankt sich ungestüm an der Fassade empor, birgt Geheimnisse von Spinnen. Unkraut hat Wege erobert. Vergessenheit frisst Rückblick und breitet sich aus wie dichtes Geweb. Draußen kräht Hahn, sein Ruf verzerrt, vedichtet, wie durch einen Kompressor…

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Tanz der Ambivalenzen

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Einerseits mag ich keine Fremdwörter und den Witz mit Catherina Ambivalente habe ich bereits vor zehn Jahren in einem Text verbraten. Das passiert mit der Zeit immer öfter, dass ich eine schneidige Formulierung benötige, aber sie ist gar nicht mehr schneidig, sondern steht verbraucht und stumpf in einer alten Geschichte, für die sich schon niemand interessiert hat, als sie noch aktuell war, was eine Mischung aus Düsterkeit und Verbitterung in mir weckt, für die ich mich räche, indem ich ellenlange Sätze hinschreibe, die am Ende nichts aussagen, nur um meine Leser zu ärgern. Aber andererseits: Protoplasma. Das ist ein feines…

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Der Geisterfahrer

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„Ich bin nicht verrückt – ihr seid alle verückt. Total verrückt. Nicht ich.“ Niemand hörte zu, als Heinz „Hank“ Sibelius nach seinem zweiten Schönheitsschlaf aus dem geöffneten Schlafzimmerfenster den Spatzen predigte, und das wusste er auch. „Irre, völlig irre, wenn ihr glaubt, was ihr vorgebt zu glauben.“ Die Spatzen taten, was sie immer taten; ob er schlief oder ob er predigte, war ihnen eins: Sie pickten und zwitscherten, sie tschilpten und schnappten auf, was ihnen vor die Schnäbel kam. Heinz „Hank“ Sibelius schienen sie dabei nicht zu beachten. „Werdet wesentlich! Werdet endlich wesentlich! Dann mache ich auch wieder mit.“ Heinz…

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Parade im Regen

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Herr Klein schlurft durch den Matsch. Noch immer kein Regen, nicht im eigentlichen Sinn, der Vorhersage zum Trotz. Eher ein träger, klebriger Nebel aus verborgen gebliebenen Träumen. Er hat sich einen neuen Hut gekauft, einen Zylinder aus angetrocknetem Kartoffelbrei. Der passt hervorragend zu den Schuhen aus gebrochenen Versprechen, die er heute aus der untersten Schublade hervorgekramt hat. Am Straßenrand spielt ein Esel Akkordeon. Die Melodie, ein verquastes Klagelied über die Unmöglichkeit, Kreise zu quadrieren, während man gleichzeitig versucht, einen unsichtbaren Elefanten zu reiten. Herr Klein zupft an seinem Zylinder. Ein Mann kommt ihm entgegen, weint still vor sich hin. Seine…

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Die schwebende Kugel

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Die Leute dachten, es würde sich niemals etwas ändern. Doch seit der Haderlump ein Projektil mit seinem Ohrwaschel aufgefangen hat, ist nichts mehr, wie es war. Kreischend tanzt der Herr der Schöpfung mit seinen Lakaien, sie wirbeln in einer Mischung aus Bräsigkeit und Hysterie über die Bühne, präsentieren der Menge ihre roten Hinterteile und picken sich gegenseitig Flöhe aus dem Pelz, um diese dann in Siegerpose in die Höhe zu halten, während die anderen Primaten sich beschämt abwenden. Ich wünschte, das Publikum würde einfach gehen, die Bande unbeachtet stehenlassen. Oder wenigstens zu Seite treten. Dann wäre ich eine schwebende Kugel,…

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Ein eigenes Süppchen

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Ich sitze mit mir selbst im Restaurant. Wir haben bereits bestellt. Das Gespräch kommt schwer in Gang. Ich: Und was machst du so dieser Tage? Ich: Ich bin beschäftigt. Ich: Womit? Ich: Meistens damit, der Macht des Staates durch inneren Monolog die Grundlage zu entziehen. Mein drittes Auge ist mittlerweile so angewachsen, ich kann die normalen Dinge nicht einmal mehr sehen – mein Bewusstsein derart erweitert, dass ich an den meisten Tagen kaum ein Brot beim Bäcker kaufen kann. Der Kellner kommt an den Tisch. Er trägt eine dampfende Terrine. Kellner: Wer hat die Nummer 6, die Chakra-Suppe, bestellt? Ich:…

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