Beim Barte der Prophetin

In der Karwoche wird es Mona Pelzfuß immer ganz spirituell Zumute. Die übrigen Geschehnisse im Kirchenjahr berühren sie nicht. Die Familie Pelzfuß ist kommunistisch bis in die Knochen und der Klassenkampf ist Monas Lametta. Aber die Osterzeit! Verrat, Passion, Mord und Auferstehung. Da kann die Übernahme der Produktionsmittel durch das Proletariat einfach nicht mithalten. Allein die Namen der Tage bringen eine magische Saite in Mona Pelzfuß zum klingen: Palmsonntag, Gramdienstag, Karfreitag und so weiter.

Mona Pelzfuß bindet sich den Prophetenbart um und übt Zuhause vor dem Spiegel ihre Bergpredigt.

„Ich aber sage euch, der Schamhügel ist der Kalvarienberg des kleinen Mannes“, deklamiert sie, während sie im Wohnzimmer auf und ab schreitet.

„Ich frage mich, was mit diesem Kind los ist?“ Die Mutter lässt ihr Buch sinken und rammt dem Großvater den Ellenbogen in die Seite. „Von mir hat sie das nicht.“

Der Großvater reibt sich die schmerzende Stelle und steckt sich eine Zigarette an, um sein Lächeln hinter einer Rauchwolke zu verbergen.

„Ach, Margarete, sorge dich nicht. Das wird sich schon auswachsen. Ehe der Hahn dreimal kräht, wird sie wieder normal.“

„Selig sind die, die ein Kleid tragen, denn sie sollen geröstet werden!“ Monas Stimme klingt dumpf hinter dem Bart. „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Und darüber kommen die Brösel.“

„Ich halte das nicht mehr aus!“, schnappt die Mutter und klappt ihr Buch zu. Sie steht auf und holt Hammer und Nägel aus ihrer Schürze. Der Großvater klimpert mit den Silberlingen in seiner Hosentasche.