Das Cerebrummen

Dass der Mensch allein durch das Verstreichen von Lebenszeit immer klüger werde, ist ein beliebtes Motiv in einer Gesellschaft, die vom Wachstum besessen ist. Oft bekommt man zu hören, mit dem Alter käme die Weisheit oder hinterher sei man schlauer. Doch wer schon einmal seinen Schädel in Verzweiflung über den schlingernden Lauf der Welt gegen die metallumantelte Kante eines Küchenschränkchens geschlagen hat, wird widersprechen, sobald die bunten Punkte einem nicht mehr vor den Augen hüpfen. Das Gehirn ist ein leicht zu beleidigendes Organ. Beansprucht man es zu wenig, legt es sich schlafen und lässt sich nur schwer wecken, doch zu viel Arbeit möchte es auch nicht tun, dann läuft es heiß, wie ein Gaul auf der Rennbahn und steht am Ende still, wie ein störrischer Esel. Es mag nicht geschüttelt oder beklopft werden, es soll ihm nicht zu kalt, aber auch nicht zu warm sein. Ob einem Haare aus der Nase wachsen oder man Speckringe um die Hüfte trägt, kümmert es hingegen nicht. Es mischt sich überall ein, doch fängt man an, daran herumzudoktern, reagiert es empfindlich. Mit unbarmherziger Gerechtigkeit erhält jedes Wesen nur ein Exemplar pro Leben, egal wie sehr man sich um ein zweites oder drittes bemühen mag. Niemand möchte einen Freund, der so kapriziös wie ein Gehirn ist, der einem niemals aus dem Kopf geht, ohne den man keinen Finger rühren kann, bis zum letzten Atemzug. Um mich einzuschmeicheln, werde ich es künftig verwöhnen. Mit feiner Literatur und anmutigen Bewegungen. Mit frohen Farben und eleganten Gedankensprüngen. Irgendwann wird es ja hoffentlich Ruhe geben.