Das schwere Erbe

Mein Vater war, wenn man den Historikern und Wissenschaftlern glauben mag, nicht nur klug, sondern nachgerade brillant. Und – natürlich mag ich ihnen glauben, wer würde das nicht, wer wäre nicht gern Spross eines großen Geistes? Denn, obwohl es sich weder zweifelsfrei beweisen lässt, noch mit der politischen Mode im Einklang steht, geht man davon aus, selbst Gedanken zu haben, die außerordentlich sind. Es heißt nicht umsonst, der Apfel fiele nicht weit vom Stamm.

Andererseits mag niemand Fallobst, denn es haftet ihm der Ruch des Verfalls an, braune Stellen und Wurmbefall werden ihm unterstellt. Die Leute wollen frische Früchte, möglichst gerade erst gepflückt, mit Liebe und weichem Tuch poliert und anschließend zu kunstvollen Pyramiden geschlichtet und von fröhlichen Marketenderinnen feilgeboten.

Mit zunehmendem Alter stelle ich fest, dass ich weit hinter den Erwartungen des Volksmundes zurückbleibe. Die Zeit, die mir für das Hervorbringen prächtiger Einsichten bleibt, wird kürzer und kürzer, und was ich bisher in der Richtung zustande gebracht habe, wäre meinem Vater wohl an einem müßigen Sonntagvormittag aus dem Kopf gefallen. Er selbst tat die Huldigungen an seine Geistesgröße zeitlebens mit einem Achselzucken ab und betrachtete versonnen seine Fußnägel. Ehrungen und Preise wies er mit verächtlicher Geste zurück und murmelte, er bevorzuge süßen Blechkuchen.

Zuletzt beschlich mich in Stunden der Muße immer wieder der Verdacht, er könne in manchen Belangen ein kapitaler Dämlack gewesen sein. Ich überprüfte die Annahme nach der Methode, die er mich gelehrt hat, und siehe da: Ich hatte recht! Eine bittere Erkenntnis, aber immerhin.