Die Miete

Nicht einmal die Jahreszeiten sind noch echt. Sieht man aus dem Fenster, wähnt man sich im Frühling, doch draußen pfeift ein eisiger Wind um die Häuserecken, dass einem die Ohren taub werden. Das wiederum macht nichts aus, denn zu hören gibt es ohnehin nichts von Bedeutung. Und es stimmt auch nicht. Zu meinem Leidwesen höre ich allzu gut: Das Brummen des Wagens meiner Hauswirtin zum Beispiel. Ein dunkelgraues Ungetüm, groß wie ein Panzer, das bedrohlich unsere Hofeinfahrt blockiert. Zum Zeichen ihrer Anteilnahme am Elend der Welt hat sie blau-gelbe Plastikfähnchen an beiden Seiten angebracht; ein Anblick den man sonst nur zu Zeiten weltumspannender Sportfeste gewohnt ist. Sie stellt den Motor ab und zwitschert lauthals in ihr Mobiltelefon, bevor sie aussteigt. Wie das Schmatzen eines russischen Bären klingt die Tür, als sie ins Schloss fällt.
Anstatt bei mir zu läuten, geht sie auf den Balkon zu und wirft kleine Steinchen gegen das Fenster, die sie eigens dafür in einer perlenbesetzen Börse aufbewahrt.
„Die Miete, Sie sind wieder mit der Miete im Rückstand, Frau Pelzfuß!“
Ihre Vogelstimme schallt über den Hof und im Haus gegenüber wogen Gardinen in peinlich berührten Wellen. Ich trete auf den Balkon und rufe ihr einen Gruß zu, der ebenso falsch wie der Frühling ist.
„In der heutigen Zeit müssen Sie ja froh sein, dass Sie überhaupt zur Miete wohnen können. Anderswo hätte man Sie längst ausgebombt. Aber ich bin ja kein Unmensch, ich habe ja ein Herz für Leute wie Sie. Bis Ende der Woche gebe ich Ihnen Zeit, Frau Pelzfuß. Ich habe auch die Heizung abgestellt, aus Solidarität mit … mit … mit … ist ja auch egal, aus Solidarität eben. Die Kosten schlage ich Ihnen drauf. Und ich habe Ihnen diese Fähnchen in den Briefkasten geworfen. Wenn Ihnen kalt wird, wedeln Sie einfach damit. Ich muss weiter, bis ba-hald! Adiö-hö!“
Ich winke ihr zu, aber es sieht nur so aus, als würde ich winken. In Wahrheit versuche ich, sie wegzuwischen. Vergebens. Drinnen schüttle ich das Sparschwein und höre nichts.