Die Wehklagerin

„Kein Schwanz ist so hart wie das Leben“, pflegte meine Großmutter zu sagen, wenn Trost für uns Kinder vonnöten war. Ich glaubte ihr nicht, denn etwas Härteres als Onkel Manfreds Rute, die er mir nachts zwischen die Kiefer zwängte, konnte ich mir lange Zeit nicht vorstellen. Aber ich war ja noch jung und wusste nicht Bescheid.
Trotz dieser unsanften Behandlung in zartem Alter, bin ich zeitlebens eine Mimose geblieben. Was andere Leute als lässliche Unannehmlichkeit abschütteln, wirft mich für Wochen nieder. Ich hüte meinen Schmerz wie einen Schatz. Ein überflüssiges Unterfangen, denn wer würde ihn mir schon nehmen wollen? Die Leute wollen alle möglichen Dinge von einem, doch noch nie hat jemand nach meinem Schmerz verlangt. Ich könnte ihn auch achtlos herumliegen lassen, im Bus oder in der Bahn zum Beispiel. Das Reinigungspersonal würde über ihn hinwegsehen und noch Wochen später läge er im Fußraum eines Abteils, traurig und unbeachtet. Aber ich nutze den öffentlichen Nahverkehr ja gar nicht. Nahverkehr – allein das Wort lässt mich schaudern. Da bleibe ich lieber Zuhause und mache es mir mit meinem Schmerz gemütlich. Vergleiche den neuen mit dem alten, erfinde Maßeinheiten für ihn und lege ihm Kissen unter, damit er mit seinen scharfen Kanten keine Schäden an meiner Auslegeware verursacht.
Wenn ich Kinder hätte, würde ich ihn gewinnbringend anlegen, damit sie es später einmal besser haben als ich.