Erinnerung in Sepia

Im Augenblick des Todes, erzählt man sich, zieht das bis dahin vergangene Leben wie ein Film an einem vorüber. Ich möchte das lieber nicht. Bereits heute missfällt mir die Rückschau, zeigt sie mir doch nur, was ich alles nicht zu Wege gebracht habe. Ja, ich gestehe es. Ich verbringe meine Tage im Bett mit der Vorstellung von Abenteuern und Großtaten, für die mir im Alltag sowohl Antrieb als auch Zutrauen fehlen. Es gibt da allerdings eine Sache, von der ich diese Filmaufzeichnung allzu gerne sehen würde: der 17. Geburtstag meiner Base Charlotte.

Die ganze Mischpoke war zusammengekommen, und im Garten drehte sich ein mächtiger Hammel zum Takt eines Schlagers von Rudi Schuricke an einem Spieß. Fettiger Qualm zog durch die Nachbarschaft, und es dauerte nicht lange, bis sich ein zorniger Mob mit Dreschflegeln und Mistgabeln und aufgesperrten Mäulern und Glotzaugen und Geifer vor dem Gartentor eingefunden hatte. Sie schüttelten die Fäuste und blökten ihren Ärger in den sommerlichen Himmel. Nun war meine Familie nicht für ihre Friedfertigkeit bekannt, und es gab weit und breit keinen Händel, in den nicht wenigstens Tante Ramhilde und ihr Gatte Maximilian verwickelt gewesen wären. Bald flogen die ersten Terrassenplatten über den Zaun, ein Wort gab das andere, und noch vor Sonnenaufgang lag das Anwesen in Schutt und Asche. Uns blieb nicht viel mehr als eine Hammelkeule und ein paar Laken.

All das ist lange her; die Welt war damals noch schwarz-weiß. Umso mehr freue ich mich, auf dem Sterbebett diese Episode endlich in Farbe sehen zu können.