Lagerfeld und Puschkin

Ich saß vor ein paar Monaten in Madame Ovarys Eckkneipe, da kam ein blasser Mann herein. Er stellte sich neben meinen Tisch und sah auf mich herab. Ich sagte, er solle mir aus der Sonne gehen, sonst würde ich ihm eins auf sein fettes Maul hauen. Er sagte: „Was erlauben Sie sich? Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?”

Ich verneinte und er meinte, er sei Karl Lagerfeld, was mich nicht beeindruckte. Ich bat ihn trotzdem Platz zu nehmen. Vielleicht, so dachte ich mir, hat er ja etwas Aufregendes zu erzählen.

Hm, da müsse er einmal nachdenken und fing im selben Atemzug an: „Als ich mir neulich abends einen Rührkakao bereiten wollte, bemerkte ich missbilligend, dass in der Dose, in der ich das Kakaopulver aufbewahre, das Pulver höchstens für eine Tasse reichen würde. Aber ich hatte glücklicherweise einen Nachfüllbeutel im Regal stehen und musste nur noch einmal in mein Wohnzimmer gehen, weil ich dort zuletzt die Küchenschere gesehen hatte. Als ich den Nachfüllbeutel geöffnet hatte, schüttete ich einen großen Teil des Pulvers in meine Tasse, statt in die fast leere Dose. Da stand ich nun und…”

Mir wurde langweilig. Ich beschloss zu gehen und verabschiedete mich von Herrn Lagerfeld mit einer knappen Geste. Puh, dachte ich beim Hinausgehen, irgendwie ist es doch beruhigend zu erleben, dass berühmte Menschen erstens ihr bildlich gesprochenes Süppchen auch nur mit Wasser kochen; zweitens, dass sie unter Umständen selbst die witzigsten Momente ihres Lebens öde vortragen; und dass drittens Karl Lagerfeld ohne Brille und Fächer überhaupt nicht wie Karl Lagerfeld aussieht.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass Puschkin einmal um viertel nach neun abends in seinem Stammlokal ein Würstchen bestellte und nach einer halben Stunde Wartezeit die Kellnerin zu ihm kam und sagte: „Meister Puschkin, wir schätzen dich sehr, wie du weißt, und lieben dich für die Klarheit deiner Sprache und die Schärfe deines Geistes, doch der Küchenchef lässt ausrichten, wir seien ein Fischrestaurant und keine Imbissbude.“ Worauf Puschkin in unbändige Wut ausbrach, das Mobiliar zertrümmerte und der Kellnerin mit einem gezielten Tritt den Kehlkopf eintrat, sodass sie röchelnd zusammenbrach und erstickte.

Mit einem unbestimmten Triumphgefühl kam er nach Hause, hungrig nach Wurst und Worten. Puschkin verfasste ein achtseitiges Gedicht, welches er ‚Der Kehlkopf‘ nannte und der Kellnerin widmete. Doch er spürte sogleich, dass er damit zu weit gegangen war und benannte das Gedicht um in ‚Der seidige Garten der Tatjana R.‘. Er beschloss sich selbst zu bestrafen und ging ohne Abendbrot ins Bett.

Und nach Puschkins Vorbild will auch ich es halten und schwöre, ich habe mich seither nur von Prosa und Drama ernährt.