Macht der Gewohnheit

Kardinal Gänswein kann nicht schlafen, Kardinal Gänswein schaut fern:

Ein Mann geht durch die Wohnung. Er betätigt den Lichtschalter. Der Raum – es ist die Küche – bleibt dunkel. „Nun bin ich schon seit 27 Jahren blind und mache noch immer das Licht an, wenn ich ein Zimmer betrete.“ Er lächelt an der Kamera vorbei.

Schnitt. Innenaufnahme der geschmackvoll beleuchteten Nachbarwohnung. Eine Frau in mittleren Jahren sitzt auf der Couch und legt das Strickzeug zur Seite. „Ich habe ihm“, sagt sie, „schon vor Jahren alle Glühbirnen gegen Plastikobst ausgetauscht. Und er denkt immer noch, es würde hell, wenn er den Schalter kippt. Dem ist wirklich nicht zu helfen!“ Sie lacht und der Busen wippt unter ihrem Wollpullover. Schnitt.

Der Blinde macht sich ein Wurstbrot. Er senkt verschwörerisch die Stimme. „Wissen Sie, ich mache es auch wegen der Einbrecher. Wenn die von draußen sehen, dass hier Licht ist, dann ziehen sie gleich weiter. Meine Nachbarin? Was ist mit der? Die hat was getan? Die Birnen durch Obst ersetzt? Durch Plastikobst? Dann wundert es mich auch nicht, dass in den letzten zehn Jahren viermal eingebrochen wurde.“ Der Mann hält inne. „Durch Plastikobst ersetzt, sagen Sie? Das ist ja ein Ding!“

Gänswein schaltet den Fernseher aus. „Morgen ist auch noch ein Tag“, sagt er zu den beiden Wellensittichen, die längst schon schlafen. Der Kardinal schlurft ins Badezimmer, putzt sich die Zähne und zeigt seinem Spiegelbild die blutrote Zunge.