Neues nicht so gut, Altes nicht so wahr

Vieles passiert. Vieles passiert jeden Tag: Trauerfälle, Hochzeiten, Bindungen, Lösungen, unlösbare Situationen, Fortschritte, Rückschläge. Das an sich ist nichts Ungewöhnliches. Was es bemerkenswert macht, ist die Erkenntnis, dass Dinge auch ohne mein Zutun geschehen. Was wäre die Welt für ein Ort, frage ich mich, nähme ich wieder aktiv am Leben teil?

Wäre ich beispielsweise mobil und wie noch im Sommer in der Stadt unterwegs, hätte ich wahrscheinlich vor einigen Tagen meinen alten Freund Viktor getroffen. Eine Supermarktkassenbegegnung, man kennt das ja: Und wie geht’s? Hast du inzwischen mal wieder was von der & der gehört? Ist sie noch mit soundso zusammen? Warum trägst du eigentlich diese alberne Maske?

Er hätte Zungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Zunge und seit neustem Gaumen, sagte er, und der dichte grüne Stoff seiner Atemmaske vermochte kaum den durchdringend faul-süßlichen Geruch nach Verwesung zu filtern; ich musste mich abwenden, um ihm nicht ins Gesicht zu würgen. Er habe seinen Bürojob gekündigt, um einen lebenslangen Traum zu verwirklichen, er komponiere jetzt Katzenmusik, Musik von Katzen für Katzen. Er würde ihnen die Gedärme aus dem Leib ziehen und Streich- und Zupfinstrumente aus ihnen fabrizieren.

„Lebendig?“, fragte ich entgeistert und er bestätigte es ungerührt; er würde alles in einem Take aufnehmen und hinterher in seinem Heimstudio abmischen.

„Lebendig?“, wiederholte ich; ich konnte und wollte es nicht glauben.

„Nun ja, anfangs schon, mit fortschreitender Dauer natürlich immer weniger.“ Viktor konnte mein Aufhebens nicht nachvollziehen. „Es sind doch nur Katzen.“

Wie denn der Markt für Katzenmusik sei, wollte ich wissen, doch er winkte ab. Er legte seine Ware auf das Band, aber als es ans Bezahlen kam, klopfte er seine Taschen ab, schaute mich verzweifelt an, so ich das Mienenspiel hinter der Maske richtig deutete; er hatte sein Geld nicht dabei.

Aus alter Bekanntschaft beglich ich die Rechnung und steckte ihm zusätzlich noch einen kleinen Betrag zu. Er dankte es mir mit einer Schimpftirade, ich hatte ihm wohl den Eindruck vermittelt, ich hielte mich für was Besseres.

Dessen ungeachtet wünschte ich ihm viel Erfolg mit seiner Musik. Und Gesundheit. Die sei doch schließlich das Wichtigste.