In den Tagen der Angepasstheit, wo das Essen nicht mehr blutet, die Habenichtse hingegen schon, drehen die Autoren der Edition Groschengrab den Mist des Lebens zu Perlen. Worte suchen ihren Weg ins Freie. Die Edition Groschengrab hat es sich zur Aufgabe gemacht sie einzufangen. Die Buchdeckel müssen einladend sein, denn die Texte sind widerspenstig und eigenwillig: Sie gehen nicht mit Jedem. Das Anliegen ist, ihnen einen bequemen Platz einzurichten, wo sie sich gerne lesen lassen.

AUS DEM GROSCHENGRAB

Literarisches & Aktuelles

Am Puls vergangener Zeiten

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Voller Sorge betrachtet Luzie Pelzfuß die Einladungskarte aus dünnem Karton. Munter geschwungene Buchstaben in grüner Tinte fordern sie auf, mit dem Absender anlässlich eines runden Geburtstags „durch die Jahrzehnte zu tanzen“. Die Adresse am anderen Ende der Stadt, das Datum viel zu nah am Augenblick und die Unterschrift unleserlich. Ganz unten steht noch: Ohne dich sind wir nicht vollständig. Es wird sich wohl kaum jemand finden, der nach einem Jahrzehnte andauernden Leben noch vollständig ist. Ununterbrochen zieht jemand weg, kündigt einem die Freundschaft oder stirbt. Man selbst bleibt zurück mit losen Enden, die einen umhüllen wie ein zottiger Mantel. Ein…

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Die Zeit der Flüsterpest

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Der karmesinrote Husten geht in unseren Landen um. Der größte Teil der Bevölkerung ist nicht seuchenerprobt und weiß kaum etwas mit der neugewonnenen Länge der Tage und Monate anzufangen – es herrscht bedingte Ausgangssperre, wobei sich die in den Medien verbreiteteten Bedingungen täglich, oft zweimal täglich, ändern. Wir haben viel Zeit. Viel Zeit und wenig Geld. Für zwei Rollen Toilettenpapier und ein Fläschchen Sonnenblumenöl haben die Nachbarn aus dem Vorderhaus schon ihren Sohn und ihre Tochter ins Pfandhaus gezerrt und versetzt. Darauf angesprochen, sagte die Mutter, eine ehemals respektable Physiotherapeutin, dass sie jederzeit neue Kinder machen könne. Sie warte jedoch…

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Der Kalif vom Karstadt

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Der Kalif vom Karstadt ordnete ein letztes Mal das Beilagengemüse auf seinem Teller. Ein schmaler Junge stand plötzlich vor ihm, die Hände zu Fäusten geballt. „Bitte, helfen Sie meiner Mutter. Sie ist sehr krank.“ Der Kalif vom Karstadt bestellte einen Espresso und ein Dessert bei der Kellnerin, die das Tablett abräumen wollte. Er hatte alles aufgegessen, nur das blassgrüne Gemüse lag noch da. Und ein Apfel. „Was kann ich tun?“, fragte der Kalif vom Karstadt. Der Junge blickte zu Boden. „Sie ist sehr krank. Bitte helfen Sie ihr!“ Der Kalif vom Karstadt dachte nach, dann räusperte er sich. „ZUKUNFT IST…

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Eine Postkarte ohne Unterschrift

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Die Dinge sind selten so, wie man sie sich zunächst vorgestellt hat. Das meiste hat in der Wirklichkeit wenigstens einen Haken, wenn nicht sogar mehrere. Von dem knusprigen Braten im Lokal bekommt man Sodbrennen, die neue Hose zwickt im Schritt, der kluge und schöne Mann, den man geheiratet hat, knirscht im Schlaf mit den Zähnen und auf der Frühlingswiese wird man von Ameisen gebissen. Auch ich selbst bin nicht so prächtig, wie ich dachte. Zum Lesen benötige ich eine Brille, die Gelenke knacken beim Treppensteigen und die Welt verstehe ich überhaupt nicht mehr. Darum vermeide ich die Realität, wann immer…

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