Kurzgeschichten

Die Heuchelmaschine

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Als die Heuchelmaschine noch funktionierte, war ich König dieser Welt und auch aller anderen Welten, die ich mir vorzustellen vermochte, und ich konnte mir einiges vorstellen. Ich konnte glaubhaft behaupten, dass die Wiese purpurn leuchtete, dass Seehunde in der Lage waren, komplexe mathematische Formeln zu lösen und, darauf basierend, die Fähigkeit besaßen, einfache barocke Menuette zu komponieren. Und die Leute? Glaubten alles, was ich ihnen vorsetzte. Sie doch auch. Lügendetektor? Ich glaube, Sie spinnen! Das ist doch was für Anfänger, Leute, die sich verunsichern lassen, die ihre eigenen Lügen und Heucheleien nicht glauben können – Amateure! Die Maschine öffnete mir…

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Blut und Boden spucken

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Normalerweise sage ich ja nichts zum aktuellen Weltgeschehen und zur Zeit, wo man ständig gegängelt wird, etwas zu sagen, weil, wenn man schweige, würde man automatisch zustimmen, sage ich extra nichts. Aber da ich gerade einen Katarrh habe und ohnehin pausenlos zähfließenden Schleim absondere, kann ich dem auch noch ein paar Gedanken hinzufügen. Der Mensch ist angefüllt mit Vorurteilen und hat gerne Recht. Zudem glaubt er, je mehr es ihn Schmerze, umso mehr Recht habe er. Da genügt oft schon ein eingewachsener Zehennagel und man denkt, man dürfe in Polen einmarschieren, nur weil einem die Sprachmelodie nicht zusagt, obwohl man…

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Kein Bier für Göring

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Aufgrund persönlicher Kalamitäten hatte ich mich Anfang der 90er Jahre gezwungen gesehen, eine Stellung beim lokalen Späti anzunehmen. Lange Geschichte, kurz erzählt: Dem Besitzer war zuvor der Papagei verstorben, und in meiner Branche, der höheren Literatur, fielen für mich als Bohèmien und Lebemann kaum mehr Brosamen vom damals eigentlich noch üppig gedeckten Tisch. So kam es, dass ich nun allabendlich hinter der Theke stand, wo zuvor der gefiederte Schreihals residiert hatte. ‚Kein Bier für Göring!‘ hatte er gekräht, Tag und Nacht, jahrzehntelang, eine monotone Litanei gegen das Vergessen. Niemand wusste genau, wie er darauf gekommen war; manche munkelten, ein alter…

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Durchs Weitwinkelsubjektiv betrachtet

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In letzter Zeit behaupten meine Freunde, ich hätte einen Tunnelblick. Da es mich tatsächlich hin und wieder beim Schauen zwickt, denke ich, mein Fokus ist vielleicht zu eng. Und enge Sachen mag ich mit zunehmendem Alter immer weniger. Also habe ich mir im Versandhandel ein Weitwinkelsubjektiv bestellt. Vorgestern ist es angekommen und zunächst war ich eingeschüchtert von der Größe des Pakets. „Die glauben doch nicht allen Ernstes, ich laufe mit so einem Riesending herum!“, habe ich gerufen, wie immer ohne zu wissen, wer „Die“ sind. Aber „Die“ hoffe ich dann endlich mit meinem Weitwinkelsubjektiv erkennen zu können, genau viele andere…

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Ist das ein Sturm?

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„Ist das ein Sturm?“, fragte die Großmutter in die Runde. Wir schwiegen betreten. Sie bekommt nicht mehr alles mit, und das ist in mancher Hinsicht auch von Vorteil für ihren Seelenfrieden. Es wäre wohl für uns alle besser, würden wir nicht ständig mit immer neuen und immer lauteren Hiobsbotschaften und den Omina dräuenden Unheils zugemüllt, aber quid agendum? Ich konnte erkennen, dass sie, für einen Augenblick völliger geistiger Klarheit, aufrichtig um unser aller Sicherheit besorgt war. Darum nahm ich ihre Hand und tätschelte sie beruhigend. Die Großmutter zitterte, als sie sagte: „Ich weiß doch, wie sich ein Sturm anfühlt.“ Auch…

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Zögere nicht

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Schon mein Großvater konnte nicht genug davon kriegen, uns vor Müßiggang und Zauderei zu warnen. Gelegenheiten solle man beim Schopfe packen, sonst gingen sie unwiederbringlich vorüber. Alles sofort erledigen, nichts auf morgen verschieben. So blökt es die ganze Welt seit Dekaden vor sich hin. Womöglich sogar seit Äonen. Nein, natürlich nicht, so ein Äon dauert ja ewig und vor Ewigkeiten gab es noch gar keine Menschheit, die in Eile war, aber Sie verstehen was ich meine. Jedenfalls, Geschwindigkeit ist eine Tugend. Schnell entscheiden, schnell reagieren – oder besser noch: agieren, dann muss man nicht warten; schnell zugreifen, bevor es ein…

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In meinem Kopf ein Kleingartenverein

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Ich bin im Garten, in meinem kleinen Garten. Bin Gärtner, Kleingärtner. In meinem Kopf ein Kleingartenverein. So bin ich jetzt, so war ich dann, so werde ich ewig sein. Steche Schoppen, pflüge Scholle, lasse dem Herrgott die Neige und die Krume, rege durch die Blume Entsprechungszauber an, denn wie ich dir, so du mir. So war es dann, so ist es jetzt, so wird es ewig sein: In meinem Kopf ein Kleingartenverein. Zum nächsten Punkt! Die Ehrung der Verdienste, der Verstorbenen, ohne die wir alle nicht wären, wo wir heute sind. Zeigt ihr mir eure, zeig ich euch mein –…

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Ein Pranger nach Maß

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Die besseren Leute erkennt man an ihrem maßgeschneiderten Zeug. Sogar ihre Bettdecken lassen sich die besseren Leute nach Maß anfertigen. Vielleicht schläft man nur unter einer Decke von 2,07 Metern Länge wirklich erholsam und nur die Daunen der Gänse auf einem kleinen Hof in der Provence halten einen wirklich warm, bloß wir einfachen Menschen wissen das gar nicht, weil wir schon froh sind, wenn wir nicht an die Front geschickt werden. Das stimmt natürlich nicht, denn als einfacher Mensch hat man heutzutage keine Einwände gegen einen Fronteinsatz, nur als Lumpenpazifist, und der kommt halt nicht in den Schützengraben sondern an…

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Die Rettung ist zu teuer

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Al Jardine, ein Nachbar der Wilson-Brüder und Mitbegründer der Beach Boys, hat den Cousin der drei an der Leitung. „Ich habe mit Brians behandelndem Arzt gesprochen, er sagt, Brian liegt im Sterben, aber er könnte ihn vielleicht retten, um einen finalen Song aus ihm herauszukitzeln. Vorausgesetzt natürlich, dass wir noch etwas auf sein Honorar drauflegen.“ Am anderen Ende schweigt Mike Love und atmet pfeifend. „Was das wieder kostet!“, sagt er endlich und bricht die Stille. „Ich habe es satt, immer wieder unser sauer verdientes Geld in Brians Behandlungen zu stecken. Ich meine, vielleicht ist sein letzter Song richtig scheiße und…

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Späte Rache

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„Bei deiner Mutter ist ja nicht mehr viel los im Oberstübchen“, raunt mein Vetter Kaiphas mir über den Tisch hinweg zu. Er heißt nicht wirklich Kaiphas, den Namen trägt er nur innerhalb der Familie, weil er eine Arschgeige von biblischen Ausmaßen ist. Ich weiß gar nicht, warum oder von wem er zum Essen eingeladen wurde, aber da er nun einmal da ist, habe ich ihm einen Teller Fritattensuppe hingestellt. Die habe ich extra für blöde Gäste im Gefrierschrank. Die Mutter sieht ihn mit belustigtem Ausdruck an und löffelt ihre Nudeln mit Soße. Ich kann meine Mutter nicht sonderlich leiden, aber…

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