Kurzgeschichten

Das Gossenmaul

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**DISCLAIMER** Dieser Text enthält Sprache und Ausdrücke, die als anstößig oder unangemessen empfunden werden könnten. Die enthaltene Sprache dient einem spezifischen Zweck und soll bestimmte Charaktere, Situationen oder kulturelle Hintergründe authentisch darstellen. Ich empfehle, dass unbedarfte oder empfindliche Leser und Leserinnen diesen Text mit Vorsicht rezipieren. Die hier geäußerten Ansichten und Aussagen spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten des Autors oder der Herausgeberin wider: Sybille ist nicht so wie wir. Für Sibylle sind wir die Anderen. Sybille wollte nie eine von den Anderen sein. Sybille ist praktisch unsichtbar. In der Regel beachtet man sie nicht, wenn sie vor der U-Bahnstation sitzt….

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Plädoyer für ein Beuteltier

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Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal, als der Beutelwolf in Handschellen vorgeführt wurde. Die Kappe saß schief auf seinem Kopf und pinkfarbene Beulen leuchteten in seinem Gesicht. Wahrscheinlich hatten ihm die Wachen das Fell über die Ohren gezogen, aber die meisten fanden, das geschehe ihm recht. Umständlich platzierte er seinen Hintern auf der Anklagebank, faltete die Pfötchen vor dem Bauch und begrüßte die Reporter mit einem präpotenten Grinsen. Während die Anklageschrift vorgelesen wurde, fielen dem Beutelwolf die Augen zu und er schnarchte leise. Einmal schreckte er hoch und rief „Karpatenknörze!“, was tags darauf in allen Zeitungen zu lesen war. Noch…

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Die Pechtrommel

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Bambule und Kassalla, die lustigen Zwillinge, sitzen auf einer Bank vor dem alten Schulgebäude und essen Kirschen aus einer Papiertüte. „Erinnerst du dich“, kommt Bambule ins Schwelgen, „als wir dem altem Mann damals geholfen haben?“ „Ich erinnere mich gut“, erwidert Kassalla, die etwas jüngere der beiden Schwestern, und spuckt den Kirschkern im hohen Bogen ins Gebüsch. „Und an seine Trommel auch, dieses Riesending mit den fiesen Federn. Wie ranzig der Alte in ihr gerochen hat.“ Bambule zuckt mit den Schultern. „Was bei dem wie gerochen hat, will ich gar nicht so genau wissen.“ Kassalla kichert bis sie sich am Kirschsaft…

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Jahrmarkt der Möglichkeiten

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Als der Jahrmarkt in unserer kleinen Stadt gastierte, kam mein Freund Jochen morgens unter mein Fenster und rief: „Daniel, Daniel, der Jahrmarkt ist endlich da, der Jahrmarkt ist der heiße Scheiß!“ So redeten wir damals und kamen uns weltgewandt und abgeklärt vor. Aber Jochen hatte vollkommen recht: Der Jahrmarkt war der heiße Scheiß. Wir Kinder hatten schon seit Tagen mit sehnsuchtsvollen Augen vor den Plakaten an der einzigen Litfaßsäule des Ortes gestanden und uns gefragt, wann endlich der siebte Juni, der Premierenabend, sein würde. Und was das bunte Plakat nicht alles verhieß … ‚Gummo, der Mann aus Kaugummi‘ fesselte unsere…

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Und die Taschen voller Staub

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Irmhild Pelzfuß findet schon lange keinen Gefallen mehr an der Welt, deshalb geht sie auch kaum mehr hin. Angefangen hatte das Ganze, als sie mit ihrer Familie auf die andere Seite der Berge gezogen war. Einerseits war das eine Erleichterung gewesen, weil sie dadurch ihren Patenonkel los wurde, der bei jeder Gelegenheit mit seinem Gemächt herumgewedelt hatte, aber anderseits sagten die Leute Puderzucker statt Staubzucker. Das muss man sich mal vorstellen. Puderzucker. Als wohnte man nicht in einem unbedeutenden Kaff neben einem Gefängnis, sondern in Frankreich bei Hofe. Ab da wurde es immer schlimmer: Die Hagelkörner wurden von Jahr zu…

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Ein Zweizack ist die Lösung

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Dieter stand, wie immer freitags in seiner letzten Mittagspause der Woche, am Bistrotisch seines bevorzugten Schnellimbisses und stocherte mit der Holzgabel in den übriggebliebenen Pommes Frites in dem Pappschälchen vor ihm. Kollege Karel aus der Abteilung Vertrieb, gesellte sich zu ihm, in der linken Hand balancierte er sein eigenes Schälchen, mit der rechten hielt er einen etwa beinlangen, vorne spitz zulaufenden Stahlprügel umklammert. „Was ist das denn für ein komischer Speer?“, fragte Dieter und nahm einen tiefen Schluck aus der Limonadenflasche. „Das ist kein Speer. Das ist mein Zweizack.“ „Hm, davon habe ich ja noch nie gehört. Und außerdem hat…

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Der Regenbogenschöne und die Dunkelmaus

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Der Regenbogenschöne ist gewöhnt zu bekommen, wonach es ihn verlangt. Möchte er zum Beispiel ein Tröpfchen Weinbrand in seinen Morgenkaffee, so eilt gleich eine seiner klugen und schönen Frauen mit einer geschwungenen Karaffe herbei. Das kommt allerdings kaum vor, denn Weinbrand am Morgen gehört nicht zu seinen Gewohnheiten und es käme ihm auch nicht den Sinn, sich von seinen Frauen bedienen zu lassen. Der Regenbogenschöne ist vorsichtig mit seinen Wünschen und Forderungen, denn er weiß, es wird ihnen umgehend stattgegeben. Das unterscheidet ihn von einem dahergelaufenen Fatzke, der denkt, alles müsse nach seinem Schädel gehen. Die Dunkelmaus bekommt nie, was…

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Der schlampige Apostel

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„Was denkst du?“, fragte sie ihn leise und kraulte ihm von hinten den Nacken. Er saß am Schreibtisch und verbarg das Gesicht in den Händen. Langsam drehte er sich zu ihr um; er sah aufgewühlt aus. „Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich es angehen werde. Das Poem, das ich schreibe, ist doch komplexer, als ich ursprünglich angenommen habe.“ „Ich weiß gar nicht, warum du immer so ein Gedöns um die Texte machst“, sagte sie mit einem spöttischen Unterton in der Stimme, „es ist ja nicht, als würde die Welt nur darauf warten, sie zu lesen. Wie viele Leser hast…

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Südwind

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In meiner Familie war der Wind eine Angelegenheit von großer Bedeutung. Meist kam er aus dem Ausland und war allein deshalb bereits suspekt. Der Ostwind zum Beispiel. Direkt aus Russland kam der und roch nach nassen Lederstiefeln, Blut und Stalingrad. Mein Großvater hätte ihn am liebsten verboten, doch seine Macht reichte dazu nicht aus. Als ich zum ersten Mal einen leibhaftigen Russen traf, staunte ich nicht schlecht, denn er roch ganz normal. Der Wind aus dem Westen brachte in der Regel ein Unwetter mit. Zornig warf er Regentropfen gegen die Fensterscheiben und rüttelte fauchend an den Bäumen. Der Nordwind stach…

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Publikumsbeschimpfungen

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Wenn man, wie Eva Pelzfuß, stets hin- und hergerissen ist zwischen den Dingen, kommt man im Leben nicht zu sonderlich viel. „Man hat immer eine Wahl“, hatte es in ihrer Familie geheißen. So springt sie morgens aus dem Bett und bereits auf dem Weg zur Toilette lauert ihr wählbares Zeug auf. Zähe Schatten in unterschiedlichem Grau umschleichen sie, flüstern, raunen, zischen: Trink erst mal einen Kaffee! Nein, mach Gymnastik! Leg dich wieder hin! Du könntest eine Runde spazieren gehen. Als erstes eine kalte Dusche, damit du wach wirst. Oder lieber eine heiße Dusche. Kauf dir ein Pony. Oder besser einen…

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