Kurzgeschichten

Seeanemone

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Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht mehr zu erschrecken, wenn ich Geister und Gestalten aus dem Augenwinkel in meiner Wohnung entdecke. Kein Zusammenzucken mehr, meinem Mund wird kein weibisches Huch! mehr entfahren, wenn ich mal wieder heimgesucht werde. Coolness und Contenance sollen meine neuen Säulenheiligen sein. Gerade gestern, ich führte ein Selbstgespräch, was ich manchmal tue, um bei einer möglichen, mir begegnenden zukünftigen Konversation nicht um Worte verlegen zu sein, überzeugte ich mich, von nun an Gelassenheit und nicht mehr Sorge, mein Leben bestimmen zu lassen. Da bemerkte ich, dass mir die ganze Zeit ein Gespenst auf…

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Vorsätze

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Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, mir einen Mantel aus Efeu wachsen zu lassen, wie der Baum vor meinem Fenster einen trägt. Seit ein paar Tagen stehe ich regungslos neben dem Baum und es schlängeln sich bereits einige zarte Ranken um meine Knöchel. Die Krähen umflattern mich und rufen mir zu: „Warum denn kein Mantel aus wildem Wein? Das ist extravagant und im Herbst würdest du in kräftigem Rot erstrahlen.“ Aber die Weinranken dröhnen im Sommer vom Summen der Bienen und Wespen, da kann mir die ganze Extravaganz gestohlen bleiben. Außerdem steht mir Grün besser. So ein Efeumantel…

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Abschluss

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Pletha, der Kreter sagte laut und überdeutlich: „Ich hasse Menschen, die andere beurteilen und werten.“ Er zog vor uns eine Uniform an und fühlte sich endlich wie Wurst in Pelle und nicht mehr nur wie formloses Brät. Wir anderen sammelten uns im Halbkreis – unter Wahrung eines gewissen Sicherheitabstands – um ihn; Pletha war im Ort für seine oftmals recht feuchte Aussprache bekannt, man tat gut daran, ihm nicht zu nah zu kommen. Dann fing er an zu schreien. Und zu spucken. Er schrie und er spuckte, er schaute uns Zivilisten dabei verächtlich an: „Ich muss mich nicht entscheiden. Ihr…

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Jedem Anfang wohnt ein Ende inne

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Es heißt, in der tiefsten Nacht sei das Licht nicht mehr weit. Wahrscheinlich heißt es anders und irgendein Schlaumeier weiß, wie man richtig sagt. Denn einen Schlaumeier findet man selbst in der tiefsten Nacht, ohne danach zu suchen. Ich frage mich, warum es dann auf der Welt so viele Laubbläser gibt. Der alte weiße Mann unter den Gartengeräten. Eine unpassende Metapher ist das. Ich habe nämlich nichts gegen alte weiße Männer, im Gegenteil. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen einer Analogie und einer Metapher? Nie weiß ich das! Aber ich schäme mich nicht deshalb. Ich habe andere Vorzüge. Zum Beispiel…

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Vom Finden

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Eines Tages war mein Hut weg. Einfach weg, einfach weg. Verzweiflung stieg in mir auf, denn mein Hut war weg, einfach weg. Gestern noch hatte er mich geschützt, meinen Kopf geschützt, vor Regen geschützt. Nun war er weg, einfach weg. Die Zeiten waren nicht gut, sind es noch immer nicht. Zu sagen, sie seien schlecht, war unmöglich geworden, unausgesprochen verboten. Die Zeiten waren nicht gut und sind es noch immer nicht. Ich beschloss, ihn zu suchen, im Wald zu suchen. Ich machte mich auf, unbeschützt auf, meinen Hut im Wald zu suchen, zu suchen, fest entschlossen, ihn zu finden. Ich…

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Ein echter Mann

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Auf dem Gehweg bleibt heute nur ein schmales, eisiges Band, auf dem man zwischen aufgetürmtem Schnee dahinwackeln kann. Vor mir geht ein Mann. In der einen Hand trägt er eine Plastiktasche mit Aufdruck eines Lebensmittel-Discounters, in der anderen hält er eine Leine, an deren Ende ein Schäferhund hängt. Der Mann stellt die Tasche in einer Mulde im Schnee ab und kratzt sich ausgiebig die Ritze zwischen den Hinterbacken. Da ich weder ausweichen noch überholen kann, betrachte ich sein Tun ohne Freude. „Glauben Sie ja nicht, Sie könnten meine Tasche schnappen!“, herrscht er mich über die Schulter an. „Zeus, pass auf!“,…

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Konflikte

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Der Krieg kommt immer näher. Neulich fuhr ich nachts im Bett auf, denn ich hörte das Pfeifen von Mittelstreckenraketen, aber dann war es doch nur Agamemmnon, der Nymphensittich meiner Nachbarin. Auch wenn es diesmal falscher Alarm war, besteht kein Zweifel: Früher oder später wird es vorbei sein mit dem Frieden. Deshalb bereite ich mich vor. „Grrrrroßßartig! Zu den Waffen!“, kreischt Agamemmnon hinter dem dicken Filzvorhang, der unsere Wohnungen voneinander trennt. Ich wünschte, es gäbe eine Wand, aber die Hausverwaltung teilt mit, das lohne nicht, denn bald würden wir eh ausgebombt, das sei nur mehr eine Frage der Zeit. Ein Segen,…

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Frische Suppe

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Wenn Oma Frische Suppe machte, roch schon das Treppenhaus nach Verwesung. Ich wurde bei ihr abgesetzt, und meine Eltern fuhren weiter zu ihren Unternehmungen. Mutter war seit einiger Zeit Hobby-Paläontologin und Vater fand es nicht gerecht, wenn sie alleine zu den Grabungsstätten fuhr. Er war ein Mann vieler Leidenschaften, doch ein eigenes Hobby war nicht darunter. Außerdem wurde seine Persönlichkeit von Eifersucht und Verlustängsten dominiert, Charakterzüge, die er mir, wie den Hang, nach den Mahlzeiten unangekündigt auf dem Küchenstuhl einzunicken, nach seinem frühen Ableben, selbstlos vermacht hat. Sonst erbte ich nichts; während alle Verwandten sich mit seinem Hab & Gut…

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Nummerngirls

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Der Mann von Welt trägt heute ein Hemd mit Gazastreifen in frischem Rot. Bedächtig kaut er auf dem Fleisch seiner Wange, während junge Frauen in glitzernden Badeanzügen die Inhalte seiner Rede auf Papptafeln vorübertragen. Die Maskenbildnerin tupft mit einem Pinsel freundliches Rosa auf das fahle Gesicht und reicht dann ein Löffelchen Lächelsaft und ein Glas Wasser zum Hinunterspülen. „Wenn auf der Erde die Liebe herrschte, wären alle Gesetze entbehrlich, meine lieben Genossinnen und Genossen!“, beginnt der Mann von Welt mit leiser Stimme, denn er spricht immer leise, damit die Leute die Ohren spitzen, um ja nichts zu verpassen. Ewa Pelzfuß…

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