In den Tagen der Angepasstheit, wo das Essen nicht mehr blutet, die Habenichtse hingegen schon, drehen die Autoren der Edition Groschengrab den Mist des Lebens zu Perlen. Worte suchen ihren Weg ins Freie. Die Edition Groschengrab hat es sich zur Aufgabe gemacht sie einzufangen. Die Buchdeckel müssen einladend sein, denn die Texte sind widerspenstig und eigenwillig: Sie gehen nicht mit Jedem. Das Anliegen ist, ihnen einen bequemen Platz einzurichten, wo sie sich gerne lesen lassen.

AUS DEM GROSCHENGRAB

Literarisches & Aktuelles

Die Zeit der Flüsterpest

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Der karmesinrote Husten geht in unseren Landen um. Der größte Teil der Bevölkerung ist nicht seuchenerprobt und weiß kaum etwas mit der neugewonnenen Länge der Tage und Monate anzufangen – es herrscht bedingte Ausgangssperre, wobei sich die in den Medien verbreiteteten Bedingungen täglich, oft zweimal täglich, ändern. Wir haben viel Zeit. Viel Zeit und wenig Geld. Für zwei Rollen Toilettenpapier und ein Fläschchen Sonnenblumenöl haben die Nachbarn aus dem Vorderhaus schon ihren Sohn und ihre Tochter ins Pfandhaus gezerrt und versetzt. Darauf angesprochen, sagte die Mutter, eine ehemals respektable Physiotherapeutin, dass sie jederzeit neue Kinder machen könne. Sie warte jedoch…

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Der Kalif vom Karstadt

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Der Kalif vom Karstadt ordnete ein letztes Mal das Beilagengemüse auf seinem Teller. Ein schmaler Junge stand plötzlich vor ihm, die Hände zu Fäusten geballt. „Bitte, helfen Sie meiner Mutter. Sie ist sehr krank.“ Der Kalif vom Karstadt bestellte einen Espresso und ein Dessert bei der Kellnerin, die das Tablett abräumen wollte. Er hatte alles aufgegessen, nur das blassgrüne Gemüse lag noch da. Und ein Apfel. „Was kann ich tun?“, fragte der Kalif vom Karstadt. Der Junge blickte zu Boden. „Sie ist sehr krank. Bitte helfen Sie ihr!“ Der Kalif vom Karstadt dachte nach, dann räusperte er sich. „ZUKUNFT IST…

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Eine Postkarte ohne Unterschrift

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Die Dinge sind selten so, wie man sie sich zunächst vorgestellt hat. Das meiste hat in der Wirklichkeit wenigstens einen Haken, wenn nicht sogar mehrere. Von dem knusprigen Braten im Lokal bekommt man Sodbrennen, die neue Hose zwickt im Schritt, der kluge und schöne Mann, den man geheiratet hat, knirscht im Schlaf mit den Zähnen und auf der Frühlingswiese wird man von Ameisen gebissen. Auch ich selbst bin nicht so prächtig, wie ich dachte. Zum Lesen benötige ich eine Brille, die Gelenke knacken beim Treppensteigen und die Welt verstehe ich überhaupt nicht mehr. Darum vermeide ich die Realität, wann immer…

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Hinterhalt im Rosengarten

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Hildegard Magerkost war nach eigenem Empfinden beileibe keine Schönheit. Nur in ihrem Garten, umgeben von Rosen in allen Farben, Rosen aus Krepppapier, aus Porzellan, zwischen Hagebutten und Blüten fühlte sie sich akzeptabel. „Hilde, verrohe nicht!“, flüsterten ihr die Blumen zu. Doch das war leichter empfohlen als durchgeführt; wie Hildegard Magerkost zu ihrem Leidwesen feststellen musste, entwickelten die Rosen zunehmend autokratische Züge. Mit den Jahren sprossen in den Sträuchern und Büschen Kameras wie Knospen, der natürliche Duft wurde jede Saison ein bisschen mehr von billigem Parfüm ersetzt. Hilde vermisste den ursprünglichen Zustand des Gartens, ohne dass sie hätte sagen können, wann…

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