Auf dem Viehhof

Von Zeit zu Zeit legt Gott die Würfel beiseite, wird Fleisch. Manchmal veranstalten die Leute ein großes Getue darum, aber meist nimmt niemand davon Notiz. Ich begegnete ihm auf dem Viehmarkt.

„Die Seele ist ein Wind, der einem aus den Augen weht.“

Suchend sehe ich mich um, wer das gesagt hat. Die Tiere stehen in Ständern angebunden, eins neben dem anderen, wie Dominosteine. Die Halle ist bis unter das Dach angefüllt mit Geräuschen, verdickt zu einer Schichtspeise. Scharren von Hufen auf Beton und Stahlgittern. Urin, der in dichtem Strahl in eine Rinne rauscht. Stimmengewirr, durchbrochen von Husten, Lachen oder Rotz hochziehen.

Ein kleiner Esel mit krummen Beinen stampft voller Ungeduld, obwohl vor ihm auf dem Boden ein Haufen Heu liegt. Er bietet mir mit einem Flappen der Ohren etwas davon an. Ich kenne mich mit Eseln nicht aus, aber das scheint mir kein gewöhnliches Tier zu sein.

„Greifen Sie zu!“, fällt er mir in den Gedanken. „Solange noch was da ist.“

Höflich lehne ich ab.

„Sie scheinen großes Misstrauen gegen Ihre Umwelt zu hegen“, fährt er mit vollen Ganaschen fort. „Haben wohl auch eingetrichtert bekommen, man dürfe von Fremden keine Speise annehmen und ähnlichen Firlefanz. Aber wie ich sehe, sind Sie wie alle Welt inkonsequent darin. Sonst wären sie ja längst verhungert. Oder wollen Sie mir weismachen, mit sämtlichen Nahrungsmittelherstellern, deren Produkte sich in ihrer Küche finden, persönlich bekannt zu sein?“

Ich überlege, ob sich in meinem Eisschrank etwas findet, das ein Bekannter hergestellt hat.

„Das ist ja läppisch!“, ruft er, bevor ich ihm antworten kann. „Ich habe den Menschen übrigens gar nicht nach meinem Ebenbild geschaffen, sondern als meinen Abgrund. Ich blicke hinein und grusle mich, wenn ich einsam bin und mir die Allmacht fad wird.“

Der Esel hält einen Augenblick in seiner Geschwätzigkeit inne und schnaubt in den Heuhaufen zu seinen Hufen. Staub stiebt auf und ein vorbeischlenderndes Mädchen muss niesen. Er kichert hämisch. Ich nutze die Pause und frage ihn: „Wie haben Sie das vorhin gemeint mit der Seele und dem Wind, der einem aus den Augen weht?“

Er starrt mich an, wölbt den Rücken und lässt einen beachtlichen Haufen fallen.

„Ach das“, antwortet er lahm, „das habe ich nur gesagt, um ins Gespräch zu kommen. Wenngleich es eine Binsenweisheit ist. Kaufen Sie mich? Dann können Sie auf meinem Rücken nach Jerusalem reiten, wie im Märchen! Und anschließend bekommen Sie das ewige Leben.“

Ich klimpere mit den Münzen in meiner Jackentasche und lasse ihn stehen. Noch lange klingt mir sein zorniges „Iih-Aahh!“ in den Ohren.