Warten aufs Ego

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Das surrt und brummt und wirbelt um mich herum, dass ich überzeugt bin, das Leben sei ein Abenteuer. Dabei bin ich bloß ein Brummkreisel. Mit fünfundvierzig Umdrehungen pro Minute. Manch einer mag einwenden, etwas mehr dürfte es schon sein. Wenn man dabei mit der Erdrotation und sich selbst im Einklang ist, bringt fünfundvierzig aber größtmögliche Kohärenz und etwas anderes, was ich gerade vergessen habe. Für einen Egotrip dauert das ganz schön lange. Reist man da zum Ich oder hindurch oder drumherum? Die Schlaumeier wissen das bestimmt. Ich hingegen bin in der Altruismusbranche tätig, da darf so etwas keine Rolle spielen….

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Spätfolgen der Leichtathletik

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Beim Sportfest entstehen manchmal Freundschaften, über die man sich noch jahrelang ärgert. Da heißt es, dabei sein sei alles, dabei stimmt das gar nicht. Wer nicht dabei ist, spart sich Atem, Zeit und Faserrisse in den Muskeln. Ich bin statt zum Sportfest immer zum Stehausschank gegangen, um mir den ein oder anderen Schnaps schmecken zu lassen. Einmal traf ich dort einen Ameisenbären, der weinte bitterlich. Seine Braut hatte ihn beim Staffellauf betrogen. Darüber kam er nicht hinweg. Also tranken wir Liköre bis zum Sonnenuntergang. Dann trug ich ihn zur Aschenbahn, wo wir bis zum Morgengrauen Kugeln stießen. Seither blüht mir…

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Der Bison

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In den Sommerferien, wenn die anderen Kinder ins Freibad gingen, musste ich in der Worttrennerei meines Onkels aushelfen. Er war ein Bison und daher in der Familie nicht sonderlich beliebt. Beim Essen hingen seine Zotteln in die Teller und Schüsseln. Wenn ihm fad war, scharrte er unter dem Tisch mit den Hufen und beschädigte die Auslegeware. Die Worttrennerei befand sich im hinteren Teil seines Stalls. Dort saß ich den lieben langen Tag, zu meinen Füßen ein Sack mit Wortpaaren. Vor mir ein Töpfchen und ein Kröpfchen, in das ich die vor Schmerz und Angst brüllenden Worthälften legen musste. Hüben und…

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Gliederfüßlers Pilgerreise

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Als Kind hatte ich einen Gliederfüßer zum Freund. Nicht so einen hässlichen, wie sie dieser Tage überall umherkrabbeln, sondern einen Dreilapper aus gutem Hause. Abends saß er auf meinem Kopfkissen und erzählte mir nordische Sagen zum Einschlafen. Dabei sabberte er aus seinem Urmund. Mich focht das nicht an, denn seine Spucke schmeckte nach Kaubonbons. Damals wohnten wir noch im Kambrium. Der Weg zur Ganztagesbetreuung war weit, bei Regen war ich oft mehrere Tage unterwegs. Der Trilobit vertrieb mir die Zeit und unliebsame Kameraden, von denen ich sonst sekkiert wurde. Eines Tages verabschiedete er sich unter dem Vorwand einer Pilgerreise. Ich…

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Ein Minutenvogel

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Von meiner Großmutter habe ich einen Minutenvogel geerbt. Ein Tier ohne jeden Nutzen. Schönheit ist er auch keine. Nicht einmal fliegen kann er. Tagein tagaus hockt er in seinem Käfig, flappt ab und an mit den Stummelflügeln und schreit nach Nahrung. So ein Minutenvogel frisst fünfzehn bis zwanzig Uhren am Tag. Das geht ganz schön ins Geld, denn Plastikuhren aus Taiwan verschmäht er. Es müssen Markenfabrikate sein oder wenigstens Sanduhren. Mit seinem Schnabel schnappt er durch die Gitterstäbe des Käfigs. Manchmal kommt Besuch. Dann werde ich gefragt: „Was ist denn mit dem Pinguin los? Ist er krank?“ Niemand hält einen…

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Unter der Eckbank

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Bis zum heutigen Tage herrscht unter Fachleuten wie Laien gleichermaßen Uneinigkeit über die Person Debussy. Was dem einen als Beweis für dessen Tätigkeit als Komponist im Frankreich des 19. Jahrhunderts gilt, tut der andere als Fälschung ab und pocht auf antike Steintafeln, in die Verfügungen des Pygmäenherrschers Debussi I. eingeritzt sein sollen, doch schon erscheint ein Dritter mit einem mittelalterlichen Kupferstich. So geht das immer weiter und das Einzige, worauf die Leute sich einigen können, ist die alljährliche Debussy-Sternfahrt nach Enghagen am Tabor, zu der meinen Großvater Juli für Juli die gesamte Familie begleiten musste. Im Gegensatz zu den Reden…

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Gespräche mit Tacheles

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Zwischen den Jahren besuchte ich meinen Bruder Tacheles im Pflegeheim. Wie immer brachte ich ihm eine wohlriechende Salbe mit, für die tiefen Furchen in seiner Stirn, die er vom dauernden grimmig Dreinschauen bereits seit seinem vierzehnten Lebensjahr hatte. Er warf das Töpfchen aus mattem Glas achtlos in eine Schublade. Schon ein paar Tage vor meinem Besuch aß ich nur noch Tütensuppe und trug zu enge Rollkragenpullover aus Synthetikfasern, die meine Haut zerkratzen und in der Dunkelheit boshaft Funken sprühten. Er sollte ja nicht denken, ich hätte ein schönes Leben. Mit großem Argwohn musterte er mich, suchte in meinem Gesicht und…

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So ein schnappendes Geräusch oder das ist ja ein Imitat

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So ein schnappendes Geräusch, wie von einem Fallbeil für Kinderzehen. Niemand horcht auf, die Sorge um die Unversehrtheit der Zukunft berührt hier nicht. Funktionskleidung in gedeckten Farben. Dicht bis 7000 Irgendwas Wassersäule. Das hätte Lot brauchen können. Oder war das Lots Frau? Nein. Nur ein hagerer Mann in buntem Neopren betritt energischen Schrittes das Bahnhofslokal mit der automatischen Glastür. Die macht so ein leise schnappendes Geräusch, wie ein Fallbeilspiel für Kinder. „Vererhrte Funktionskleidungsfunktionärinnen und Funktionskleidungsfunktionäre! Willkommen bei unserer kostenlosen Wassersäulengymnastik. Ein Serviceangebot von Standard & Poor, der Ratingagentur der Herzen. Mein Name ist Hubsi, und wir beginnen heute mit der…

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Ehrenamt Europa

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Ein Gespenst geht um in Europa. Das habe ich in der Zeitung gelesen. Am Zeitungskasten, genauer gesagt. Ich bin empfindsam gegen das Leid der Welt. Von einer ganzen Zeitung bekomme ich Sodbrennen. Allerdings, vom Gespenst wusste ich schon vorher. Donnerstags sucht es mich heim. Es rüttelt an meinen Zähnen und heult. „Kapital! Kapitaaaahaaahaaal! Hast du schon welches? Hast du, hast du, hast du, hast duhuhuhuuu welches?“ Dann piekt es mich mit knöchernen Fingern in den Bauch. „Sag, sag, sag, sag, sahahahaaag, hast du genug Kaaahaaahaapihiiihiiitaaahaahahaaal?“ Es springt auf meinen Rücken und zaust mir das Haar. „Man kann nie, nie, nie,…

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