Morgen kein Tag

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Obwohl man ständig nach Gerechtigkeit ruft, klagt man über den Tod. In seinem Angesicht sind alle von gleicher Geltung. Pflanze, Tier, Kind, Greis, Mörder und Mönch: Er liebt sie alle. Mag sein, den einen ereilt er, bei der nächsten lässt er sich Zeit. Nimmt jeden Tag nur ein Schlückchen. Wie unangenehm da die Alltäglichkeit wird. Es soll doch jeder Augenblick einzigartig sein! Wer möchte sich schon an die letzten Worte „Bring mir einen Sahnekefir mit!“ erinnern? Oder schlimmer noch – sie ausgesprochen haben. Und hinterher erst. Man hätte unbedingt noch dies sagen wollen, jenes aus der Welt schaffen oder in…

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Kopfbahnhof

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Der schönste Mann der Welt spaziert mit mir durch die Nacht. Im Schein der Gaslaternen verliert die Welt jeden Makel. Viel Lachen und Küssen, die Gedanken fliegen zwischen den Köpfen hin und her, als seien wir die Graphitelektroden einer Kohlenbogenlampe. Da werde ich durchgeschüttelt, wie bei einem Erdbeben. Der Geruch von Spiritus steigt mir in die Nase. Ein Körper ist neben mir auf das Sitzbänkchen der Mini-Dampfeisenbahn gefallen, ein Glöcklein bimmelt und die Rundfahrt durch den Vergnügungspark beginnt. Mein Geist ist auf Wanderschaft gegangen. Das passiert mir häufig. Es entgratet die Kanten der Wirklichkeit. Der Mann neben mir atmet schwer….

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Lesung am 11. Oktober 2016

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Daniel Boente liest aus seinem Roman „Der schreckliche Feuerbach“. Am Dienstag, den 11. Oktober 2016 um 19.00 Uhr. In der Buchhandlung Frick International zu Wien. Schulerstraße 1 bis 3, A-1010 Wien Homepage: http://www.buchhandlung-frick.at/frick_international.php

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Zustände

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Neulich ist mir eine merkwürdige Sache passiert. Ich gehe in der Dunkelheit nach Hause, als unter meinen Füßen die Straße stirbt. Bei jedem Schritt spüre ich, wie das Leben aus ihr entweicht und sie hinter mir zu Staub zerfällt. Voller Angst lausche ich, aber ich höre nur das ferne Schluchzen der Wolken und Donnergrollen aus Schweigsamkeit. Meine Patentante, ihren Namen weiß ich nicht mehr, sagte immer: Der Zimmermann im Haus erspart die Axt, mit der man sich sonst nur die Synapsen abhacken würde, aus Ungeschick oder Versehen. Unbehaglich sehe ich mich um, ob jemand das Werk meiner Zerstörung beobachtet. Ein…

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Das Schauspiel

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Eine Weile sitzt Pavlik schon auf den Stufen der Veranda und betrachtet das Schauspiel. Ein Mann, gekleidet in Lumpen, wird von einer gewaltigen Welle an den Strand geworfen. Pavlik saugt einen Schluck Kaffee von der linken in die rechte Backe. Als der Mann sich nicht rührt, überlegt Pavlik hinzugehen. Seine Muskeln spannen sich an und er atmet ein, wie Menschen es tun, kurz bevor sie sich erheben. „Will man einen Drecksack erschießen, so ist das Saxophon das Mittel der Wahl.“ Daran erinnert sich Pavlik jetzt und die schleppende Stimme des Majors klingt ihm wieder in den Ohren. Der Ton des…

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Nichts geht mehr

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„Tagelang lag ich in der Takelage, in Schonhaltung, wegen einer Zerrung am Gemüt. Nur Bissen vom Gewissen hatte ich zur Nahrung und nichts zu trinken, als ein Tau“, sprach ich zu meinem Freund Ferdinand, bevor er mich fragen konnte, wo ich denn die ganze Zeit gewesen sei, als ich mit zausem Haar und wildem Blick in sein Wohnloch kroch. „Und jetzt?“ Ferdinand hatte stets eine Frage parat, egal wie ausführlich man antwortete. „Jetzt habe ich den vernichtenden Blick erlernt. Von einem schmatzenden Tölpel, der mir die halbe Zeit über im Nacken saß. Ich gucke einmal vernichtend und paff! stehen nur…

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Schusters Rappen

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In alten Zeiten war es üblich, dass die Wölfe nachts an den Waldrändern herumlungerten und Spaziergängern auflauerten. Heutzutage ist das aus der Mode gekommen. Wölfe gibt es längst nur mehr im Zoo, und Spaziergänger trauen sich nach Sonnenuntergang gar nicht mehr auf die Straße, obwohl es bei Weitem nicht mehr so gefährlich ist wie früher. Nicht einmal mehr richtige Banditen gibt es noch nach Büroschluss. Mesut Özil war das egal. Immerhin war es eine warme Sommernacht und noch Wochen hin, bis zum nächsten Auswärtsspiel. Außerdem war er kein Angsthase. Fernab vom nächtlichen Trubel der Großstadt schlenderte er pfeifend am Waldrand…

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Warten aufs Ego

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Das surrt und brummt und wirbelt um mich herum, dass ich überzeugt bin, das Leben sei ein Abenteuer. Dabei bin ich bloß ein Brummkreisel. Mit fünfundvierzig Umdrehungen pro Minute. Manch einer mag einwenden, etwas mehr dürfte es schon sein. Wenn man dabei mit der Erdrotation und sich selbst im Einklang ist, bringt fünfundvierzig aber größtmögliche Kohärenz und etwas anderes, was ich gerade vergessen habe. Für einen Egotrip dauert das ganz schön lange. Reist man da zum Ich oder hindurch oder drumherum? Die Schlaumeier wissen das bestimmt. Ich hingegen bin in der Altruismusbranche tätig, da darf so etwas keine Rolle spielen….

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Spätfolgen der Leichtathletik

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Beim Sportfest entstehen manchmal Freundschaften, über die man sich noch jahrelang ärgert. Da heißt es, dabei sein sei alles, dabei stimmt das gar nicht. Wer nicht dabei ist, spart sich Atem, Zeit und Faserrisse in den Muskeln. Ich bin statt zum Sportfest immer zum Stehausschank gegangen, um mir den ein oder anderen Schnaps schmecken zu lassen. Einmal traf ich dort einen Ameisenbären, der weinte bitterlich. Seine Braut hatte ihn beim Staffellauf betrogen. Darüber kam er nicht hinweg. Also tranken wir Liköre bis zum Sonnenuntergang. Dann trug ich ihn zur Aschenbahn, wo wir bis zum Morgengrauen Kugeln stießen. Seither blüht mir…

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Der Bison

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In den Sommerferien, wenn die anderen Kinder ins Freibad gingen, musste ich in der Worttrennerei meines Onkels aushelfen. Er war ein Bison und daher in der Familie nicht sonderlich beliebt. Beim Essen hingen seine Zotteln in die Teller und Schüsseln. Wenn ihm fad war, scharrte er unter dem Tisch mit den Hufen und beschädigte die Auslegeware. Die Worttrennerei befand sich im hinteren Teil seines Stalls. Dort saß ich den lieben langen Tag, zu meinen Füßen ein Sack mit Wortpaaren. Vor mir ein Töpfchen und ein Kröpfchen, in das ich die vor Schmerz und Angst brüllenden Worthälften legen musste. Hüben und…

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