Erschießungskommando

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In mir schläft ein Lied. Weil ich nicht gut singe, hüte ich mich es zu wecken. Abends, vor dem Einschlafen, knirsche ich mitunter seine Melodie leise mit den Backenzähnen. Als Mädchen wurde ich dafür gescholten, egal wie leise ich auch die Zähne gegeneinander reiben mochte. Aber das ist das Los der Kleinen und allzu lange hält die Kindheit ja nicht vor; ehe man sich daran gewöhnt hat, trocknen die Tränen, bekommt man die Füße nicht mehr hinter die Ohren und das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Man beginnt, sich selbst zu schelten, auch und gerade für Kleinigkeiten. Jeden Morgen…

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Klauenseuche und Politik

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James Scheuß erwacht immer einen Augenblick vor dem Knistern des Deckenlautsprechers. Eine Angewohnheit, die er sich schon lange zu eigen gemacht hat. Ein Widerstand, eine Freiheit, vom Großen Ganzen unbemerkt, denn er stellt sich schlafend, um dann, im Moment des elektronisch verstärkten Geräuschs, mit einem gehetzten Schrei hochzufahren. „Habe ich mich genug angestrengt für das Große Ganze? Das ist die Frage, die wir uns alle stellen!“, dröhnt die Stimme mit unerbittlicher Freundlichkeit auf James herunter. Noch nie im Leben hat er sich diese Frage gestellt, hat es auch nicht vor. Ausgesprochen, ja, das wohl, aber lediglich mit verstellter Stimme. Es…

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Schuld und Sühne zur besten Sendezeit

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Ein beängstigendes Klacken taucht den Raum in weißes Licht. Wüsste Frau Mittwisser es nicht besser, würde sie mit der Erscheinung eines Engels rechnen. Sie hält sich das Familienalbum vors Gesicht, um die Augen vor dem Gleißen zu schützen. Neben ihr sitzt ein Herr mit pfeifendem Atem. Er reckt den fleischigen Hals, damit er einen Blick in ihr Album werfen kann. Darin sieht man den Großvater mit Strickjacke und Scheitel in der Küche auf und ab gehen. Ungehalten blinzelt er ins helle Licht, das durch die aufgeklappte Seite ins Album fällt. „Meine Großeltern hatten sogar für einige Wochen einen Juden auf…

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Morgen kein Tag

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Obwohl man ständig nach Gerechtigkeit ruft, klagt man über den Tod. In seinem Angesicht sind alle von gleicher Geltung. Pflanze, Tier, Kind, Greis, Mörder und Mönch: Er liebt sie alle. Mag sein, den einen ereilt er, bei der nächsten lässt er sich Zeit. Nimmt jeden Tag nur ein Schlückchen. Wie unangenehm da die Alltäglichkeit wird. Es soll doch jeder Augenblick einzigartig sein! Wer möchte sich schon an die letzten Worte „Bring mir einen Sahnekefir mit!“ erinnern? Oder schlimmer noch – sie ausgesprochen haben. Und hinterher erst. Man hätte unbedingt noch dies sagen wollen, jenes aus der Welt schaffen oder in…

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Kopfbahnhof

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Der schönste Mann der Welt spaziert mit mir durch die Nacht. Im Schein der Gaslaternen verliert die Welt jeden Makel. Viel Lachen und Küssen, die Gedanken fliegen zwischen den Köpfen hin und her, als seien wir die Graphitelektroden einer Kohlenbogenlampe. Da werde ich durchgeschüttelt, wie bei einem Erdbeben. Der Geruch von Spiritus steigt mir in die Nase. Ein Körper ist neben mir auf das Sitzbänkchen der Mini-Dampfeisenbahn gefallen, ein Glöcklein bimmelt und die Rundfahrt durch den Vergnügungspark beginnt. Mein Geist ist auf Wanderschaft gegangen. Das passiert mir häufig. Es entgratet die Kanten der Wirklichkeit. Der Mann neben mir atmet schwer….

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Lesung am 11. Oktober 2016

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Daniel Boente liest aus seinem Roman „Der schreckliche Feuerbach“. Am Dienstag, den 11. Oktober 2016 um 19.00 Uhr. In der Buchhandlung Frick International zu Wien. Schulerstraße 1 bis 3, A-1010 Wien Homepage: http://www.buchhandlung-frick.at/frick_international.php

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Zustände

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Neulich ist mir eine merkwürdige Sache passiert. Ich gehe in der Dunkelheit nach Hause, als unter meinen Füßen die Straße stirbt. Bei jedem Schritt spüre ich, wie das Leben aus ihr entweicht und sie hinter mir zu Staub zerfällt. Voller Angst lausche ich, aber ich höre nur das ferne Schluchzen der Wolken und Donnergrollen aus Schweigsamkeit. Meine Patentante, ihren Namen weiß ich nicht mehr, sagte immer: Der Zimmermann im Haus erspart die Axt, mit der man sich sonst nur die Synapsen abhacken würde, aus Ungeschick oder Versehen. Unbehaglich sehe ich mich um, ob jemand das Werk meiner Zerstörung beobachtet. Ein…

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Das Schauspiel

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Eine Weile sitzt Pavlik schon auf den Stufen der Veranda und betrachtet das Schauspiel. Ein Mann, gekleidet in Lumpen, wird von einer gewaltigen Welle an den Strand geworfen. Pavlik saugt einen Schluck Kaffee von der linken in die rechte Backe. Als der Mann sich nicht rührt, überlegt Pavlik hinzugehen. Seine Muskeln spannen sich an und er atmet ein, wie Menschen es tun, kurz bevor sie sich erheben. „Will man einen Drecksack erschießen, so ist das Saxophon das Mittel der Wahl.“ Daran erinnert sich Pavlik jetzt und die schleppende Stimme des Majors klingt ihm wieder in den Ohren. Der Ton des…

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Nichts geht mehr

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„Tagelang lag ich in der Takelage, in Schonhaltung, wegen einer Zerrung am Gemüt. Nur Bissen vom Gewissen hatte ich zur Nahrung und nichts zu trinken, als ein Tau“, sprach ich zu meinem Freund Ferdinand, bevor er mich fragen konnte, wo ich denn die ganze Zeit gewesen sei, als ich mit zausem Haar und wildem Blick in sein Wohnloch kroch. „Und jetzt?“ Ferdinand hatte stets eine Frage parat, egal wie ausführlich man antwortete. „Jetzt habe ich den vernichtenden Blick erlernt. Von einem schmatzenden Tölpel, der mir die halbe Zeit über im Nacken saß. Ich gucke einmal vernichtend und paff! stehen nur…

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Schusters Rappen

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In alten Zeiten war es üblich, dass die Wölfe nachts an den Waldrändern herumlungerten und Spaziergängern auflauerten. Heutzutage ist das aus der Mode gekommen. Wölfe gibt es längst nur mehr im Zoo, und Spaziergänger trauen sich nach Sonnenuntergang gar nicht mehr auf die Straße, obwohl es bei Weitem nicht mehr so gefährlich ist wie früher. Nicht einmal mehr richtige Banditen gibt es noch nach Büroschluss. Mesut Özil war das egal. Immerhin war es eine warme Sommernacht und noch Wochen hin, bis zum nächsten Auswärtsspiel. Außerdem war er kein Angsthase. Fernab vom nächtlichen Trubel der Großstadt schlenderte er pfeifend am Waldrand…

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