Das ist ja ein Delirium

Es gibt diese Tage, da wacht man morgens auf und kann die eigenen Hände nicht erreichen. Sie schaukeln in weiter Ferne an dünnen Armen, während man selbst zuhause sitzt und sich den Schlaf nicht aus den Augen reiben kann. „Kommt zurück!“, will man ihnen zurufen, aber durch den zugeschwollenen Hals entweicht nur eine sanfte Brise und die Hände schaukeln noch ein bisschen mehr. Kleine Stücke Erinnerung wagen sich hervor aus dem zähen Gehirn, wohlwissend, dass man sie nicht greifen kann. Eine aus Harzer Käse geschnitzte Deutschlehrerin mahnt mit erhobenem Zeigefinger, man dürfe Sätze nicht mit „Und dann …“ beginnen, wenigstens nicht mehrmals hintereinander. Bevor man fragen kann, „Warum eigentlich nicht, wer sagt das, wo steht das?“, taucht sie auch schon mit einem satten Platschen wieder unter und es fällt einem auf, dass Ibykus und Papageno ein und die selbe Person sein müssen. Oder hatte der Kaninchen? Man weiß es nicht mehr, weil man sich mit einem Mal schämt, dem Mädchen in der Grundschule nicht geholfen zu haben, dessen Ellbogengelenke laut knackten, wenn die anderen Kinder böse Scherze auf ihre Kosten machten, denn man war zu Feige und froh, einmal nicht selbst Ziel des Spottes zu sein. Obschon man sich nicht erinnern kann, womit die anderen einen aufzogen. Und dann fällt einem ein, dass es die Gedanken waren, die launisch und rücksichtslos von hier nach dort hopsten, mal schnell, mal quälend langsam. Und dann möchte man einen alten, weisen Mann um Rat fragen, aber der ist längst gestorben, so lange schon, dass er nicht einmal alt war, als er seinen letzten Atemzug tat, vergblich festgehalten von einer dieser weit entfernten Hände. Und dann sinkt man erschöpft in die Kissen zurück, schließt die Augen und wünscht, es möge alles wieder beim Alten sein, wenn man sie wieder öffnet. Doch um den Wunsch an der Wirklichkeit zu messen, fehlt einem der Mut.