Der Stift

Es gibt ein Problem mit diesem Stift. Er schreibt, was er will. Das war zwar das Verkaufsargument, als ich ihn kaufte – er war nicht gerade billig – und anschließend einigermaßen stolz nach Hause trug, aber ich hatte dem Verkäufer im Grunde misstraut, denn zu oft war ich in ähnlichen Situationen bereits enttäuscht worden. Ich habe in meiner Wohnung mehrere Kisten mit Dingen, die nicht das tun, was ich mir zum Zeitpunkt des Erwerbs von ihnen erhofft hatte.
Aber dieser Stift funktioniert wirklich phänomenal. Und darin liegt das Problem: Wie kann ich Texte, die er quasi ohne mein Zutun verfasst, als die meinen ausgeben? Wird das Publikum nicht zu Recht fordern, dass ich diesen Betrug unterlasse? Haben die Menschen nicht Anspruch auf originäre Werke, frisch aus meiner ureigenen Seele?
Ich könnte den Stift natürlich in das Geschäft zurückbringen. Der Händler würde sich zieren, keine Frage, aber letztendlich käme er nicht aus der Nummer, ohne meinem Anliegen zu entsprechen. Anderenfalls wäre ich Willens und gezwungen, eine wenig weihnachtliche Szene mitten in seinem Schreibwarenladen aufzuführen.
Er liegt aber auch wirklich gut in der Hand; der Stift ist weder zu schwer noch zu leicht, er macht auch äußerlich einiges her. Vielleicht behalte ich ihn einfach und lasse mich überraschen, was für Dinge er mir schreiben wird.
Genau, das werde ich tun: Ich lehne mich zurück und gebe ihm freie Hand zu schreiben, was ihm beliebt. Ich muss mein Wissen auch nicht notwendigerweise mit der Leserschaft teilen, es kann ja unser beider Geheimnis bleiben.