Das Märchen meines Seins

Ich wurde heute vor etlichen Jahren im Zeichen des Kalbs geboren

und weil ich eine Glückshaut umhatte, als ich zur Welt kam, so ward geweissagt, dass mir ein ganz außergewöhnliches Schicksal beschieden sei.

„Er ist ein Glückskind, es wird schon alles zu seinem Besten ausschlagen,“ hörte ich die Erwachsenen oft staunend raunen, wenn sie mich betrachteten.

Die Zeit bis zur Grundschule verbrachte ich zur Belustigung meiner Schwester größtenteils in einem Gitterkäfig, wurde von ihr mit Zigarettenstummeln und Kronkorken gefüttert und immer gerade noch am Leben gehalten.

Häufig wurde mein Status als Glückskind auf die Probe gestellt und Familienmitglieder wie auch Übernachtungsgäste meiner Eltern machten sich einen Spaß daraus zu prüfen, wie ich mich aus immer lebensbedrohlicheren Situationen herauszuwinden verstand. Sie gaben mir flüssigen Blumendünger und Babyöl zu trinken, überschütteten mein Gesicht und Ärmchen mit heißem Bratfett, brachen mir die Rippen.

Doch ich blieb weitgehend lebendig. Lachend und fröhlich, freundlich zu Fremden, vertrauensvoll zu Bekannten und Verwandten. Das änderte sich auch nicht, als ein Freund der Familie mit dem Gewehr auf mich zielte und abdrückte. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, war ich wieder fröhlich.

„Mannmannmann, du machst ja Sachen“, schüttelte schmunzelnd mein Vater den Kopf. „Man muss sich ja direkt um dich sorgen. Aber du weißt, der Indianer kennt keinen Schmerz. “

Ich hingegen kannte keinen Indianer und als Glückskind keine Furcht. Und so wuchs ich allen Widrigkeiten zum Trotz heran und über die Köpfe meiner Peiniger hinaus. Und ich lebte glücklich fort und aß Rebhühner.