Der Setzling

Seit Jahren versuche ich mich im Züchten von Dattelpalmen, doch bisher blieb meine Mühe ohne Lohn. Mein Bruder, um dessen grünen Daumen sich in der Familie phantastische Geschichten ranken, meint, das Klima sei Schuld. Er rät mir zu einem Gewächshaus, aber dafür mangelt es mir an Demut. Ein Feigenbaum, behauptet er, sei einfacher zu ziehen. Da ich jedoch tagsüber gern ein Nickerchen mache, ist mir das zu gefährlich. Am Ende erwache ich mit Eselsohren in seinem Schatten, und dann wäre es sicherlich vorbei mit der Liebe, egal wie oft der Herzensmann beteuern mag, es käme ihm auf Äußerlichkeiten nicht an.

Eines Morgens fand ich ein unscheinbares Pflänzchen in dem großen Topf, der die Dattelkerne beherbergt und das Herz schlug mir vor Aufregung so laut, dass die Nachbarin dachte, es gäbe Bombenhagel in der Ferne. Schließlich kam sie mir jedoch auf die Schliche und meldete den Lärm bei Frau Ahvazi, der Hausverwalterin. Gemäß der Hausordnung, die zu lesen ich bei meinem Einzug versäumt hatte, bekam ich die dort aufgeführten fünfundzwanzig Hiebe mit dem Pfeifenrohr verabreicht. Eine Woche lang konnte ich nicht ordentlich sitzen, und seitdem wage ich im Haus kaum noch zu atmen. Das Gärtchen vor meiner Wohnung betrete ich gar nicht mehr. Was aus dem Dattelsetzling geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Hätte ich auf den Rat meines Bruders gehört, wäre ich gewiss besser dran.