Die Hand, die mich füttert

Den Hügel hinab ist das Gehen mühsam, besonders bei Tauwetter. Die Räder des Rollators drehen wilde Kreise im Matsch. Wie Fliegen, die man von einem Kadaver aufscheucht. Ich selbst finde schon lange keinen Halt mehr, auch nicht bei trockener Witterung. Aber heute, bei Sturm und Regen, die Straßen und Wege rutschig, als wären sie mit Seife beschmiert – da wäre ich am liebsten zu Hause im Bett geblieben, auch wenn die Fenster undicht sind und kein Öl für den Ofen da ist. Doch will ich nicht hungern, also bleibt mir nichts übrig, als den beschwerlichen Weg zum Brötchengeber zu gehen. Auf halber Strecke kann ich das Gebäude in einer Wegbiegung kurz sehen. Wie ein Fleischspieß sticht es in den Himmel.

Vor dem Eingang drängen sich die Leute mit knurrenden Mägen und schmutzigen Augen. Doch die Wachen lassen immer nur fünf von uns ein, die dann im Warteraum stehen, bis sie aufgerufen werden. Dank des Rollators werde ich vorgelassen. Oft wurde ich schon gebeten ihn zu verleihen, um einem Wartenden die Zeit zu verkürzen. Sogar Geld bot man mir an. Aber darauf lasse ich mich nicht ein. Zu groß ist meine Angst vor Sanktionen. Die ohnehin schon knappen Rationen werden gnadenlos gekürzt und am Ende steht man mit nicht viel mehr als einer aschfarbenen Scheibe Brot für den Monat da.

Der Mann vor mir in der Reihe starrt mich an und überlegt, ob wir miteinander bekannt sind. Er war oft Gast in unserem Haus und ich erinnere mich genau an ihn und seine Vorliebe für Mädchen im Vorschulalter mit hängenden Schultern. Einen Augenblick werde ich von Wehmut überschwemmt und denke an vergangene Zeiten, schwere Vorhänge, weiche Kissen und Spezereien im Überfluss. Außer einem Ölgemälde auf Leinwand ist mir nichts geblieben. Ich trage es unter meinem Hemd um den Leib gewickelt. Es hält den Wind ab.

Der Versorger fragt mich, wie jede Woche, nach meinen Vermögensverhältnissen. Ich habe nichts, sage ich, nur was ich am Leib trage. Wie immer leert er meine Handtasche, zählt Münzen und betrachtet eine zerknitterte Photographie. Sonst nichts, fragt er. Ich schüttle den Kopf. Er reicht mir eine Lochkarte. Die stecke ich im nächsten Raum in den Schlitz des Brötchengebers. Ein Papierbeutel mit meiner Wochenration fällt mit traurigem Rascheln in den Schacht.