Schultage

Als Junglehrer Bodo Sonnenschein eines Morgens mit missbilligendem Blick festgestellt hatte, dass der kleine Michael wieder einmal den Unterricht schwänzte, war Zorn in ihm gewachsen – Zorn auf die Dummheit der Menschen im Allgemeinen und auf die seiner Schüler im Besonderen – und dieser Zorn verlangte nach Raum und nach Luft zum Atmen. Herr Sonnenschein nestelte an Knöpfen, schlüpfte aus seinen Hosen und präsentierte der Klasse seinen knittrigen Unmut.

Die Aufgabenstellung des Tages war ‚Maritimes Erleben‘, und der kleine Michael hatte behauptet, von diesem Thema begeistert zu sein. Bodo Sonnenschein hätte den Jungen heute gern glänzen lassen; er mochte den schüchternen Schüler und traute ihm einen ordentlichen Aufsatz zu. Doch Michael blieb wieder einmal dem Unterricht fern. Die anderen Kinder hatten ihre Telefone gezückt und machten Aufnahmen von des Lehrers Empörung.

Vom Hausmeister angeführt, stürmten zwei Polizisten das Klassenzimmer und prügelten den Halbnackten mit Knüppeln zu Boden. Gerade als die Beamten ihn abführten, hetzte der kleine Michael durchs Schultor. Dieses Mal war es wirklich nicht seine Schuld, dass er zu spät kam: Die Familienkatze hatte in der Nacht Junge bekommen – zwei waren direkt gestorben, zwei hatten überlebt – und Michael hatte sich kümmern müssen.

Nun wurde Herr Sonnenschein vom Schulgelände geschleift und Michael konnte ihm nur noch hinterherrufen, dass er den Aufsatz dabei habe und ob der Lehrer ihn denn nicht hören wolle. Doch der hatte anscheinend nicht die Muße zu antworten und hob nur anerkennend den Daumen. Die Mitschüler waren längst in den Hof gegangen oder hatten ihre Pausenbrote ausgepackt und saßen mit vollen Backen kauend an ihren Plätzen und plauderten miteinander. Michael stellte sich an die Tafel und las von einem mit Katzenblut bespritzten Zettel folgende Geschichte vor:

„Madame Pipette, Professor Haramasch und sein tollkühner Diener Ekelhard auf einer Bootsfahrt. Der Wind wie Widerruf, wie Widerhall, wie Donnerschlag. Madame Pipette föhnt sich die Augenbrauen und tönt sich die Wimpern. Jürgen Haramasch will sie pimpern. Ekelhard stöhnt im Takt dazu. Über allen Wassern herrscht Ruh‘.“

Dem Junglehrer Sonnenschein hätte der Text bestimmt gefallen.