Erlebnisbericht, wie ich Daniel Boentes Tagebuch fand

1. 11.
Ich bin den ganzen Tag mit Nichtstun beschäftigt, da bleibt mir keine Zeit für Ironie.

(Nachtrag)
Sie sagt: „Ich bin eigentlich die Verkörperung eines kleinen Lasters und du wolltest doch immer LKW-Fahrer werden.“
Sage ich: „Aber ich …“, doch sie fährt mir mit ihrer Haarbürste über den Mund.
So wird das nichts mit uns.

6. 11.
Eine andere ruft: „Maria Lactans, Oberlicht, ich schwöre!“
Ich weiß zunehmend weniger, was die Menschen überhaupt von mir wollen.

9. 11.
Wo ist das Buch?, fragt der Mann vor mir an der Supermarktkasse.
Ich antworte ihm: Ich weiß es nicht, ich führe es schon lange nicht mehr. Bestimmt 10 Jahre. Wenn nicht noch länger.

21. 11.
Ich schlage mich mit der Machete durch das Unterholz meines Wohnzimmers. Es muss doch irgendwo sein. Das blöde Buch kann sich doch nicht in Staub aufgelöst haben.

28. 11. (Vormittag)
Ich bin schon ganz in der Nähe meines Fensters, das spüre ich am eiskalten Luftzug, der durch die Ritzen dringt. Hier war es, dass ich das Tagebuch zum letzten Mal bewusst wahrgenommen habe. Draußen stürzt sich ein Schneemann vom Dach und zerschellt im Hof.

(kurz vor Mitternacht)
Ich habe mein Tagebuch gefunden. Endlich. Die Wollmäuse hatten es in Besitz genommen und ihrer Kultur einverleibt. Heute Abend, ich hatte die Hoffnung so gut wie aufgegeben, hörte ich, dass eine uralte Wollmaus ihren Enkeln in weinerlichem Tonfall aus ihm vorlas.
Sie las aus dem Kapitel ‚Wochen wilder Wollust‘ und ich war nicht sicher, ob die Passage geeignet sei, junge beeinflussbare Wollmäuse in ihrer Suche nach dem Lebenssinn zu unterstützen oder sie auch nur zu erbauen. Aber was weiß ich schon?
Ich nahm das Buch an mich, drückte es mir in Wiedersehensfreude an die Brust und versprach ihm mit gedämpfter Stimme, es künftig regelmäßig und ordentlich weiterzuführen.
Ich weiß schon, wie das nächste Kapitel heißen wird. ‚Das süße Leben der unteren 10 000‘. Oder ganz anders. Vielleicht irgendwas mit Dezember. Mal sehen.