Erzähl mir nix!

„Heute“, sagte der glutäugige Jüngling zu Regina Pelzfuß, „will ich dir vom Steinadler erzählen.“

Er fasste ihre Hand und drückte sie, exakt an der Grenze zwischen sanft und fest, als wisse er genau, wo die sei. Regina Pelzfuß rutschte unbehaglich auf ihrem etwas in Jahre gekommenen Apfelhintern hin und her.

„Vom Steinadler? Besser nicht. Erzähl‘ lieber was anderes! Vom Elefanten oder von einer Bahnfahrt.“

Sie sah zu der Klappe hinauf, die zum Dachboden führte, wo sie vor langer Zeit den Adler in den Schlaf gesungen hatte. Bestimmt würde er aufwachen, wenn von ihm die Rede war. Doch der junge Mann war nicht zu bremsen. Die Geschichte sei wirklich gut, versicherte er und rückte näher an sie heran.

„Du hast Steine doch gern“, raunte er und wies mit einer seiner wissenden Hände auf das Regal, in dem Regina Pelzfuß all die Steine ordentlich aufgestapelt hatte, die man ihr je in den Weg gelegt hatte.

Regina zuckte die Schultern und machte flüsternd noch ein paar halbgare Vorschläge, während der Jüngling zu erzählen begann. Es dauerte nicht lange und schon hörte sie das Scharren von Krallen auf dem Holzboden über ihr und wie Flügel sich nach langem Schlaf mit Knacken und Knistern spreizten. Der Jüngling lauschte seiner eigenen Stimme und bekam von alledem nichts mit. So staunte er nicht schlecht, als sich wenig später die Dachbodenluke mit einem gewaltigen Krachen öffnete und ein grau-brauner Greifvogel ein paar Mal um die geblümte Deckenlampe kreiste, bevor er herabstürzte und Regina Pelzfuß vom Sofa pflückte, als sei sie ein Edelweiß.

Der Adler trug Regina fort. Man suchte sie noch eine Weile, doch niemand sah in eisigen Spalten zwischen dunkelblauen Felsen nach ihr. Der glutäugige Jüngling hatte sie bald vergessen und fand andere Damenohren, in die er seine Märchen gießen konnte.