Familienbande

Auf dem Lande fühlt der Stadtmensch sich fehlplatziert. Trotzdem fährt er hin. Wegen der guten Luft, der Ruhe und weil er ein Nutztier oder Alpenpanorama zu Gesicht bekommen möchte. Umgekehrt kommen die Leute vom Land in die Stadt, weil sie einen bunten Pullover kaufen wollen oder sich vor den Menschenmassen aus aller Herren Länder gruseln.

Mein Vetter Grasfried ist nicht nur mein einziger Verwandter, sondern obendrein ein Freund der Goldenen Mitte. Deshalb hat er sich sein Heim exakt dazwischen eingerichtet. Jahrein jahraus sitzt er in seinem Vorgarten und beobachtet die vorüberziehenden Horden. Hat er das Bedürfnis nach Ansprache, lehnt er sich an den Zaun und lässt sich von den Reisenden über die Vorzüge und Schattenseiten der unterschiedlichen Orte unterrichten. Jedes Für und Wider trägt er in eins der Büchlein ein, unter deren Last sich die Regale in seinem Salon biegen.

Mehrmals die Woche ruft er mich an und klagt über sein Fernweh, doch er ist nicht zu einer Reise zu bewegen. Jeder Fleck der Welt scheint über einen Makel zu verfügen, der ihn abhält.

Man kann sich denken, wie groß meine Überraschung war, als er mir neulich seine Laubsägearbeiten zum Verkauf anbot, um mit dem Erlös nach Siebenbürgen zu reisen. Ich lehnte dankend ab, war aber neugierig zu erfahren, wie ihm nach all der Zeit ausgerechnet dieses Ziel in den Sinn gekommen war. Voller Enttäuschung, dass der Handel nicht zustande kam, unterstellte er mir Neid und Bosheit. Eine Zankerei begann, an deren Ende er mich enterbte.

Seit dem Zerwürfnis gefällt es mir nirgends mehr. Ziellos lasse ich mich treiben und hoffe, irgendwann an Grasfrieds Gartentor angespült zu werden. Nach einer tränenreichen Versöhnung werden wir mit seinen Laubsägearbeiten ein Freudenfeuer entzünden und anschließend mit fliegenden Fahnen nach Siebenbürgen aufbrechen.