Nicht-Ich und Kaum-Ich begegnen sich

Kaum-Ich: Sagen Sie mal, kenne ich Sie nicht irgendwoher?
Nicht-Ich: Mich? Hm, warten Sie, stimmt! Ich meine auch, ich hätte Sie schon einmal gesehen. War es nicht auf einem ausgelassenen Frühlingsfest, umsäumt von Jungfrauen?
Kaum-Ich: Nein, in mir ist ewig Herbst. Sie müssen sich täuschen. War es nicht vielmehr bei der Einweihung eines bedeutenden Gebäudes oder auf dem Sommerempfang des Präsidenten, wo wir uns zum ersten Mal begegneten?
Nicht-Ich: Das ist gut möglich. Trugen Sie nicht einen zahmen Feldhasen in einer offenen Tragetasche aus Lederimitat auf dem Arm? Ein Feldhase, der damals die Blicke aller anwesenden Damen anzog? Standen Sie nicht inmitten einer Schar von Frauen in der Blüte ihrer Jahre?
Kaum-Ich: Sie müssen mich verwechseln, ich besitze keine solche Tasche. Und je länger ich Sie betrachte, desto sicherer bin ich mir, mich getäuscht zu haben. Ich kenne Sie gar nicht.
Nicht-Ich: Sie irren, wenn Sie glauben, sich zu täuschen. Jetzt weiß ich es genau, es war im Winter. Auf einer Beerdigung. Sie saßen in der Kirche bei den Witwen.
Kaum-Ich: Ich glaube nicht. Ich kenne keine Toten und ich weiß, ich habe Sie in meinem ganzen Leben nie gesehen. Entschuldigen Sie die Verwechslung, das Ganze ist mir sehr unangenehm. Auf Wiedersehen!
Nicht-Ich: Halt! Schauen Sie mich besser noch einmal genau an! Es ist vielleicht das Mondlicht, das mein Gesicht nicht optimal beleuchtet. So bleiben Sie doch! Schauen Sie mich an! Sind Sie nicht vielleicht mein lange verloren geglaubter Bruder? Ich meine Sie zu erkennen. So bleiben Sie doch!