San Sabba

Mein Großvater war einmal – nahezu unbemerkt von seiner Umgebung – ein schneidiger junger Mann gewesen. Er schuftete auf einer italienischen Reismühle und um seinen kargen Lohn aufzubessern, verkaufte er Pülverchen aus Partisanenknochen an die Einheimischen, denen er so zu mehr Standfestigkeit in Liebesdingen verhalf. Nachts schrieb er im Schein einer Talgkerze Briefe an meine Großmutter, in denen er aufrichtig sein Schicksal bedauerte.
Später wollte er sich an diese finsteren Zeiten nicht mehr erinnern. Er stolzierte lieber in seiner Festtagshose umher und bestand auf Ordnung und gutes Benehmen.
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, pflegte er zu rufen, wenn ich die Beine hochlegte und die Nase in ein Buch steckte, anstatt irgendeine fade Aufgabe des Alltags zu bewältigen. Mir war das Schieben stets näher als das Heben, was mir innerhalb der Familie den Ruf eines Tagediebs einbrachte. Dabei habe ich in meinem Leben niemals jemandem auch nur einen einzigen Tag gestohlen. Im Gegenteil. Ich verschenkte meine eigenen Tage freimütig an die Bedürftigen, bis ich am Ende keine mehr übrig hatte und mich mit den Nächten begnügen musste, in denen ich mir, wie er es mich gelehrt hatte, an die eigene Nase fasste. Diese Nase, mit der ich mich in Italien niemals blicken lassen können werde, denn sie ist seiner zu ähnlich und ich stürbe vor Scham, wenn mich dort jemand nach dem Rezept für das Partisanenpulver fragen würde.