Südwind

In meiner Familie war der Wind eine Angelegenheit von großer Bedeutung. Meist kam er aus dem Ausland und war allein deshalb bereits suspekt.

Der Ostwind zum Beispiel. Direkt aus Russland kam der und roch nach nassen Lederstiefeln, Blut und Stalingrad. Mein Großvater hätte ihn am liebsten verboten, doch seine Macht reichte dazu nicht aus. Als ich zum ersten Mal einen leibhaftigen Russen traf, staunte ich nicht schlecht, denn er roch ganz normal.

Der Wind aus dem Westen brachte in der Regel ein Unwetter mit. Zornig warf er Regentropfen gegen die Fensterscheiben und rüttelte fauchend an den Bäumen. Der Nordwind stach einem eiskalte Nadeln ins Gesicht und wenn man zu lange von ihm angeblasen wurde, lief man Gefahr, sich in einen blonden Hühnen zu verwandeln, der nur im Stechschritt laufen konnte.

Der Jochwind barg von allen Winden die größte Heimtücke. Selbst im August konnte er unvermittelt vom Berg herab auf einen niederfahren und dann lag man wochenlang mit einer Lungenentzündung im Bett, wenn man keine Wollmütze dabei hatte.

Nur aus dem Süden wehte niemals auch nur das zarteste Lüftchen, denn ein graues Gebirge versperrte den Weg. In meiner Vorstellung trug der Südwind den Duft von Jasmin mit sich und die fernen Klänge einer Ukulele, die Hulamusik spielt. Er ließ einen die Hüften schwingen und überzog die Haut mit Sonnengeruch. Ich wollte leben, wo der Südwind weht.

„Das kann so schwer nicht sein“, dachte ich und packte meinen Koffer.

Die Dinge sind selten so, wie man sie sich zusammenphantasiert. Tatsächlich bringt der Südwind den Geruch von Schlachthaus und macht einem Kopfschmerzen. Ich habe mir angewöhnt, in meiner Vorstellung zu bleiben.