Die Lösung ist niemals diagonal

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Einer von uns zweien drohte den Verstand zu verlieren; ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube, du warst es nicht. Und auch nicht Käthe, die nimmermüde Arbeiterin im Weinberg des Herrn. ‚Welcher Herr?‘, fragst du. Na, Herr Malaga aus Hausnummer 53. Ich traf ihn neulich, als er seinen Zaun tünchte. Er sagte höflich ‚Guten Morgen‘ und ich erwiderte den Gruß. „Wo ist denn die Käthe?“, fragte ich und er wies mit dem Mittelfinger auf ein verhutzeltes Weib, das hinter mir stand und mit Eifer die Weinbeeren zählte. „Grüß dich, Käthe“, rief ich über die Schulter, doch sie gab vor,…

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Wiedersehen mit Bad Sodom

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„Veronika, ich glaube, der Frühling hält Einzug.“ Samuel Duda schaut aus dem Fenster und streicht sich Brotkrümel von der Trainingsjacke aus leichtem Synthetikstoff. Nicht, dass er vorgehabt hätte, sein Lauftraining wieder aufzunehmen – seit dem letzten Wettbewerb waren Monate vergangen, seit seinem letzten Training ebenso lang – die Jacke gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit und Trost. Und Trost hatte er in den vergangenen Wochen dringend nötig gehabt, seit einem katastrophal verlaufenen Weihnachtsfest bei ihren Eltern, ist seine Beziehung zu Veronika bestenfalls als unterkühlt zu bezeichnen; Samuel Duda ist kein Optimist. Er glaubt nicht, dass es schnell besser wird. Aus…

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Seht mich den Inhalt eures Schädels schänden

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„Wir treffen uns im kleinen Kreis. Nicht mehr als zehn Personen.“ Walter Steinbeißer unterbreitet den Freunden seine Ideen für den nächsten Auftritt. „Ich werde ein paar Gedichte vortragen, vielleicht ein Lied oder zwei zum Besten geben. Kuchen und Getränke. Eine runde Sache.“ Georg, seines Zeichens Freund und Kupferstecher, ist nicht überzeugt. „Aber nicht, dass alle wieder nur so hipstermäßig abhängen und Englisch quatschen.“ Er spuckt vor Abscheu auf Steinbeißers Teppich und wischt sich wichtigtuerisch mit dem Handrücken den Mund ab. „Wenn man nicht einmal in der Hauptstadt, also der besten und wichtigsten Stadt, die Landessprache verwendet, ist der Untergang nicht…

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Keine Liebesgeschichte

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„Um eine vernünftige Geschichte über das Nichts zu verfassen, braucht man einen unverstellten Blick auf die Dinge. Erst wenn man alles vor Augen hat, erkennt man, dass ziemlich viel Platz neben der Materie bleibt – Unendlichkeit zwischen den Atomen. Zwar wird der eigene Schritt durch diese Erkenntnis nicht unbedingt sicherer und es häufen sich Vorkommnisse wie Gegen-Türen-und-Wände-Laufen, doch die Begegnung mit den Mitmenschen wird ungeahnt erfüllend. Großes Ehrenwort.“ Die Gräfin Karaszek nickt und saugt jedes Wort begierig auf. Sie ist eine Dame in ihren mittleren Jahren, prall gefüllt mit Temperament, niemals ein Gefühl der Alltäglichkeit im Miteinander aufkommen lassend. „Kein…

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Geschichten aus der Depression – Teil Soundsoviel

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„Wenn ich es Ihnen sage: ich stehe hier, ich kann nicht anders. Und sie bewegt sich doch.“ Trotzig hebt Herr Rabe die Faust und lässt sie vor den Nasen ausgedachter Feinde beben; er ist nicht länger willens, die Demütigungen und die ihm entgegengebrachte Missachtung dieses besonderen Personenkreises hinzunehmen. „Wer sich mit mir in die Gefilde der Gefahr begibt“, knurrt er, „kommt darin um.“ Eine besonders vorwitzige Widersacherin grinst ihn frech an; Herrn Rabe ist sie schon seit langem ein Dorn im Auge, ein Splitter im Blickfeld; sie ist eine der übelsten Gestalten, die er je erdacht hat. Er betrachtet sie…

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Der Empfang

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Auf Stöckelschuh, im Herrenslipper, im Garten vor dem Haus am Fluss, eine Hochzeitsgesellschaft, hoch geht es her, Champagner wird getrunken, Krabben am Spieß verzehrt, es wird geplaudert und gescherzt: „Ach, wie schön! Du hier?! Wie lange ist’s her?“ „Wohl eine und eine halbe Ewigkeit.“ „Ein Haselnussstrauchzweig, ein Wink des Schicksals traf uns damals gemeinsam, wenn ich mich recht entsinne.“ „Darf ich so offen sein, dir etwas zu gestehen – ich hatte inzwischen dein Gesicht ganz vergessen.“ „Das muss dir gar nicht peinlich sein, ich kenne das schon. Das liegt am Teflon.“ „Am Teflon?“ „Na, das Teflon, mit dem mein Gesicht…

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Private Andacht Teil 45 – Schwalbenjagd

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Jede erpicht, die erste im gedachten Kreis zu sein, schwirren, flirren Schwalben uns um Köpfe. Jahre zurück: Der Nachbar steht, um sich über den anhaltenden Geschlechtslärm aus meiner Wohnung zu beschweren, in der unabschließbaren Tür, im Zimmer, am Bett, fummelt in deinem langen blonden Haar, schnalzt, raunt: „Reizend, ganz reizend“ und weckt den Brechreiz in dir. Noch weiter zurück: Liegen Männer unter Autos, trinken Alt-Bier, schwitzen Öl. Im Hintergrund die Stimmen in Zungen redender Sportreporter. Rasch ein Wechsel, ein Schlenker in die Gegenwart, denn die Stunde des Gehstocks rückt erschreckend nahe. Der Knauf wahlweise aus Silber oder Menschenbein. Ein Schädel…

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Stadtidyll, frühsommerlich

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Die weibliche Gestalt neben mir hat sich wohl eingekotet. Ich rieche es, ein kurzer Blick auf ihre Hose, aus der es quillt, bestätigt meine Vermutung. Jede Spannkraft ist aus ihr gewichen; zusammengesunken, in Jeansshorts gekleidet, ist sie Teil meines Stadtbilds. Ein buntes Bild, in der Tat: Da picken Vögel, da werden Hunde getragen, Taschen und Tüten, Tätowierungen, die neusten Risse in den Hosen, gut gefüllte Mutterbrüste unter T-Shirts – da wird sich das Haar gebürstet und dort werden Flusen von leichten Kleidern gezupft. Transparente Mauern werden errichtet, Trampelpfade ausgetreten, Jugendliche auf Geschichtsentdeckung getrieben, Flicken auf Wissenslücken geheftet, genäht und anderweitig…

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Sectio Aurea

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Waltraud Fibonacci schneidet mit der Schärfe ihres Blicks Scheibchen von einem frischen Stück Seife. Befriedigt ob der glatten Schnittflächen, verlässt sie das Badezimmer und schaut sich, im Bewusstsein ihrer ungeheuren Macht, vorsichtig im Raum um: Ein Spiegel, im Lauf der Jahre stumpf und blind geworden, hängt an der Stirnseite ihres Bettes und erinnert sich vergangener Reflexionen. Die Fibonacci schnaubt und klaubt Brotkrümel vom Tisch. Sie presst die Krumen zu einem kleinen Brot zusammen und tunkt sie in einen Teller kalter selbsteingebrockter Suppe. An ihrem Fenster werden Zwillinge in einem Kinderwagen vorbeigeschoben. Waltraud Fibonacci schenkt ihnen keine besondere Beachtung. Mädchen wohl,…

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MB präsentiert – das Ende der Welt

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Martin Buber, verkleidet als Jesaja oder Darwin oder Marx, stand auf dem Rathausplatz und kraulte sich den Bart. „Höret!“, predigte er den Passanten . „Höret und bereuet euer Tun! Der Herr spricht, und ihr wisst es wohl, habe ich es euch schon zwei Dutzend Mal verkündet: Das Ende ist nah!“ Die empfänglicheren unter seinen Zuhörern schauten verängstigt zu Boden und erschauerten in fast wollüstiger Furcht. Mancher Vater hielt sein Kind im Arm und wiegte es hin und wieder her. Martin Bubers Augen blitzten im Sommersonnenlicht als Boten der Vergänglichkeit. „Wehret dem Widersacher, denn sein Reich ist nur auf Quarz gebaut!“…

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